Auf dem Weg zu einer neuen Emeritus-Kultur in Österreich?
Im Jahr 2009 wurde ich von der Zeitschrift „Cellular and Molecular Life Science“ eingeladen, einen Beitrag für deren gelegentlich erscheinende Rubrik „Memories of Senior Scientists“ zu schreiben. Nach längerem Überlegen habe ich diese Einladung angenommen und einen Artikel mit dem Titel „Self and Non-Self“ verfasst (1).
Wahrscheinlich lag das daran, dass man positive Konnotationen mit bestimmten Personen leicht zu Papier bringen kann, während man negative Assoziationen mit bestimmten Namen zu Lebzeiten ungern preisgibt oder diese - was noch wahrscheinlicher ist - verdrängt. bzw. nicht mehr wichtig nimmt. Ich habe jedenfalls diesen Artikel mit dem Satz begonnen „Life has been good to me!“, und so habe ich mein wissenschaftliches Leben auch wirklich empfunden. Da der Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels ungefähr mit jenem meiner Emeritierung zusammenfiel, kann ich inzwischen auf fast 4 Jahre wissenschaftlicher Tätigkeit als Emeritus zurückblicken, und ich kann sagen, dass die zu Beginn meiner „Memories“ gemachte Feststellung auch heute noch Gültigkeit hat.
Ich habe, dank der Unterstützung durch das Rektorat der Medizinischen Universität Innsbruck (MUI) sowie Prof. Lukas Huber, meinem früheren Dissertanten und PostDoc, dem jetzigen Leiter des Biozentrums der MUI, auch als Emeritus weiterhin ausgezeichnete Arbeitsbedingungen vorgefunden. Die ungebrochene Fortsetzung meiner wissenschaftlichen Tätigkeit war allerdings nur möglich, weil es mir gelungen ist, kompetitive Drittmittel (FWF, EU) einzuwerben und damit eine junge und kompetente Arbeitsgruppe zu rekrutieren bzw. aufzubauen. Das bringt mich zum eigentlichen Themas dieses Science Blogs.
In Österreich geht durch unsere verfehlte Pensionspolitik außerhalb und innerhalb der akademischen Szene viel Know-How verloren, das für unsere Wirtschaft und Wissenschaft einen beträchtlichen Wert haben könnte. In Bezug auf die Wirtschaft bedenke man nur den Verlust seltener handwerklicher Fähigkeiten, das Know-How älterer Techniker und Ingenieure, Archivare, etc. Künstler haben es da besser, denn sie können, wenn sie wollen, bis an ihr Lebensende weiter ihrer Passion frönen.
Auch für Wissenschaftler wäre dies eine Option, wenn man, ähnlich wie in den Vereinigten Staaten, auch nach der Pensionierung bzw. Emeritierung weiterarbeiten könnte. Dabei gäbe es für die Berechtigung zum Weiterarbeiten ein ganz einfaches Kriterium: die Einwerbung kompetitiver Drittmittel. Dies bedeutet also, dass bei erfolgreichem fachlichen Wettbewerb - und damit einer strikten Qualitätskontrolle - eines eingereichten Projekts von der universitären oder extrauniversitären akademischen Institution die Infrastruktur bereitgestellt werden sollte, um diese international noch wettbewerbsfähigen Wissenschaftler an der Institution zu halten.
Dies hat nicht nur für die involvierten Wissenschaftler, sondern auch für die an diesem Projekt arbeitenden Studenten, Postdocs und Techniker Vorteile: Sie können von der Erfahrung, der Übersicht und dem persönlichem Netzwerk des Senior Investigators profitieren, insbesondere wenn sie auch - wie dies bei meiner Arbeitsgruppe der Fall ist – in einen grösseren Verbund, in unserem Fall das Biozentrum der MUI, eingebunden sind und an Diskussionen und Seminaren, Ausschreibungen und Wettbewerben etc. aktiv teilnehmen.
Abgesehen von den bereits lange existierenden derartigen Programmen in angelsächsischen Ländern haben auch schon einige Deutsche und zwei Schweizer Universitäten, insbesondere aber die Max-Planck-Gesellschaft, eigene Programme für die Weiterbeschäftigung älterer Wissenschaftler entwickelt und implementiert.
Es ist zu hoffen, dass es auch in Österreich gelingt, eine meines Wissens bis jetzt noch nicht flächendeckend existierende Emeritus-Kultur zu etablieren, die es erlaubt, unser wichtigstes Kapital, nämlich die intellektuellen Ressourcen, in ihrer Gesamtheit voll auszuschöpfen.
(1) Wick G.
Memories of a Senior Scientist: Self and Non-Self
Cell Mol Life Sci., Mar 66(6):949-61 (2009)
Über den Autor
emer. Prof. Dr. Med. Georg Wick war Ordinarius für Pathophysiologie und Immunologie (Universität Innsbruck), Gründungsdirektor des ÖAW-Instituts für Biomedizinische Alternsforschung, Präsident des FWF. Derzeit Leiter des Labors für Autoimmunität (Biozentrum Univ Innsbruck);
Forschungsschwerpunkte: Arteriosklerose, sklerotische Erkrankungen.
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