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Ein Jahr Science-Blog

Ein Jahr Science-Blog

Mit dem Artikel „Hat die Menschheit bereits den Boden unter den Füßen verloren?” - verfaßt von dem prominenten Waldökologen Gerhard Glatzel - wurde vor einem Jahr der Science-Blog aus der Taufe gehoben. In einer ersten Bilanz möchten wir nun aufzeigen, wie sich der Blog in dieser Zeitspanne entwickelt hat, wie unser Blog wahrgenommen wird, und warum wir nach wie vor Bedarf für einen derartigen Blog sehen.

Der Science-Blog hat seit seiner Gründung ein klares Ziel: Er soll eine zeitgerechte, erste österreichische Plattform zur Information und Diskussion über Naturwissenschaften sein. In seinem Mission Statement ist dieses Ziel so formuliert:

„Laien über wichtige naturwissenschaftliche Grundlagen und Standpunkte zu informieren, deren Grenzen in kritischer Weise abzustecken, Vorurteilen fundiert entgegenzutreten und insgesamt, in der Form eines zeitgemäßen Diskussionsforums, das zur Zeit leider sehr geringe, allgemeine Interesse an Naturwissenschaften zu steigern“.

Wie hat sich der Science-Blog entwickelt?

Seit Beginn des Blogs sind im wöchentlichen Abstand insgesamt 53 Artikel erschienen. Diese haben in bunter Reihenfolge Themen aus der Mathematik und verschiedenen den Naturwissenschaften zuzurechnenden beziehungsweise auf Naturwissenschaften basierten Gebieten behandelt. Dabei wurde ein weiter Bogen gespannt von Physik, Geowissenschaften, Weltraumforschung, Chemie, Biologie bis hin zur molekularen Pharmakologie und Medizin.

Entsprechend dem interdisziplinären Charakter moderner naturwissenschaftlicher Forschung und Anwendung, wiesen auch die meisten Beiträge fließende Übergänge zwischen mehreren Fachgebieten auf, bis hin zur Anwendung naturwissenschaftlicher Techniken auf kulturhistorische Fragestellungen. Daneben erschien auch eine Reihe wissenschaftspolitischer Artikel, die sich mit spezifisch österreichischen Problemen befaßten, vor allem mit der Einstellung von Gesellschaft und Politik zu naturwissenschaftlicher Bildung, Forschung und deren Förderung.

Mit seiner, die gesamten Naturwissenschaften umspannenden Breite unterscheidet sich unser Blog grundlegend von anderen Science Blogs im Ausland. Diese werden zumeist von einem einzelnen Blogger betreut, beschränken sich häufig auf ein einziges  Fachgebiet und weisen inhaltlich sehr variable Qualitäten auf.

Mit dem Anspruch „höchste Seriosität und erste Qualität“ bieten zu wollen, haben wir einen anderen Weg beschritten, indem wir bis jetzt insgesamt 25 international ausgewiesene, renommierte österreichische Wissenschafter als Autoren rekrutieren konnten. Deren Beiträge – in leicht verständlicher (deutscher) Sprache abgefaßt – entstammen ihren jeweiligen Kompetenzbereichen, stellen also „Wissenschaft aus erster Hand“ dar. Unsere Autoren beteiligen sich an der Initiative ausschließlich deshalb, weil sie mithelfen wollen, die mißliche Situation naturwissenschaftlicher Bildung in unserem Land zu verbessern – keiner von ihnen benötigt einen Prestigegewinn, keiner erzielt daraus irgendwelche Vorteile, keiner verfolgt irgendwelche politische Interessen.

Für diese Unterstützung können wir unseren Autoren nur herzlichst danken!

Wird der Science-Blog wahrgenommen?

Die Resonanz auf den Blog kann als durchaus positiv bezeichnet werden:

Eine Suche in Google (Zeitraum: 1 Jahr, Seiten: Deutsch; nach Relevanz sortiert, 10 Ergebnisse pro Seite; abgerufen am 30.6.2012, 19 Uhr) nach dem Stichwort „science blog“ ergab insgesamt 938.000 Ergebnisse. Unser Blog war dabei 3 Mal auf Seite 1, 3 Mal auf Seite 2 und 7 Mal auf Seite 3 angeführt (das entsprach 43% der Treffer auf den vorderen Seiten).  Dies erscheint beachtlich, da ja unter „science blog“ auch viele andere Blogs aufscheinen, vor allem das deutsche Blog-Netzwerk „ScienceBlogsTM“ mit insgesamt 35 Blogs
Der Link zu unserem Blog steht auf der Homepage einiger wichtiger Institutionen (u.a. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften  und der Industriellenvereinigung), auf der Blogroll von Blogs (z.B. Kritisch gedacht) und Artikel aus unserem Blog wurden in anderen Blogs empfohlen.

Unsere Reichweite liegt bei mehreren Tausend Besuchern im Monat, wobei auch ältere Beiträge (da sie ja praktisch nicht an Aktualität verlieren) wiederholt angeklickt werden. Damit erreichen Beiträge eine Leserschaft, die das Fassungsvermögen auch sehr großer Hörsäale bereits übersteigt.
 Die meisten Besucher verhalten sich allerdings passiv, d.h. sie beschränken sich auf das Lesen der Inhalte des Blogs, geben dazu aber keine schriftlichen Kommentare ab (üblicher Tenor: „ich habe xxx gelesen, hochinteressanter Artikel; ich kann dazu aber nichts schreiben“).

Ein verhältnismäßig sehr kleiner Anteil an aktiven, d.h. postenden Lesern ist ein Charakteristikum auch der meisten anderen, etablierten internationalen Wissenschafts-Blogs. (Beispiel: Marc Scheloske “Was über Wissenschaftsblogs zu sagen ist“ erschienen am 2. Mai 2012. Bis 30. Juni 1103 Leser aber nur drei Kommentare. www.wissenswerkstatt.net/2012/05/02/was-ueber-wissenschaftsblogs-zu-sagen-ist/).

Welchen Bedarf sehen wir für einen Science Blog in Österreich?

Unsere Welt ist durch (Natur-)Wissenschaften und Technik geprägt. Diese haben unserer Zivilisation zu sehr großen Fortschritten verholfen. Sie können allerdings auch von negativen Auswirkungen begleitet werden. Lösungen für gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen – beispielsweise für Probleme der Energieversorgung, des Klimawandels, des Alterns und der damit verbundenen Defizite – lassen sich nur mit Hilfe naturwissenschaftlicher Forschung finden. Naturwissenschaftliches Basiswissen („scientific literacy“) führt zu einem immer besseren Verständnis von Prozessen, die  in uns und um uns herum ablaufen. Es befähigt uns, diese kritisch zu beurteilen ebenso wie regulierend einzugreifen.

An derartigen Grundlagen zeigt sich unsere Gesellschaft desinteressiert. Allgemeines Unwissen und, daraus resultierend, fehlendes Verständnis und Verunsicherung führen zu der in unserem Land besonders ausgeprägten Naturwissenschafts- und Technikfeindlichkeit. Diese negative Einstellung wirkt sich auch auf die Karriereplanung der Jugend aus und führt zu einem Mangel an Nachwuchs in den von Forschung und Wirtschaft dringlichst benötigten Disziplinen.
Unverständnis und Ablehnung naturwissenschaftlichen Wissens sind in beträchtlichem Ausmaß durch das Versagen der für Bildung und Information zuständigen Einrichtungen – Schule und Medien – bedingt. Diese sind nicht imstande und/oder streben offensichtlich auch nicht an, zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation beizutragen.

Versagen der Bildungseinrichtung Schule

Ungeachtet eines seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ungeheuer angestiegenen Wissens in naturwissenschaftlichen Fächern und der Anwendung dieses Wissens auf alle Facetten unseres Lebens, sind diese Fächer in unseren Lehrplänen nicht nur enorm unterrepräsentiert (die Zahl der Unterrichtstunden wurde gegenüber früher zum Teil sogar drastisch gekürzt). Sie werden auch nicht in der heute nötigen integrativen Weise – das heißt aufeinander aufbauend beziehungsweise einander ergänzend – angeboten. Es darf nicht verwundern, wenn Pflichtschulabgänger in der für den Stoffumfang viel zu knapp bemessenen Zeit kaum viel an Wissen mitbekommen (wie auch beim PISA-Test 2006 und 2009 dokumentiert).

Zu den durch Lehrpläne verursachten Defiziten kommt erschwerend, daß gute Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer häufig fehlen, daß die Ausbildung der Lehrer kaum das in diesen Fächern heute benötigte interdisziplinäre Wissen berücksichtigt, daß Lehrer mit der für Naturwissenschaften essentiellen Forschung nie in Berührung kamen. Aber selbst, wenn ein guter Lehrer vorhanden ist, unterrichtet er ja "nur" einen Nebengegenstand, dessen Bedeutung (gemessen an Lehrplan und Stundenzahl) und Lerneinsatz sich in keiner Weise mit den Hauptgegenständen messen darf.

Dem niedrigen Stellenwert naturwissenschaftlicher Fächer entsprechend  fehlen bis jetzt auch Bildungsstandards dafür, was ein Absolvent der Pflichtschule, der AHS wissen sollte.
Schlußendlich fehlt es dann auch an der Motivation der Schüler, deren Akzeptanz der Fächer desillusionierend ist (Meinung zum Chemieunterricht: zu schwierig, zu abstrakt, zu wenig verstanden). Sie sind in ihrer Ablehnung möglicherweise auch geprägt durch Vorurteile aus Familie und Freundeskreis.

Versagen der Medien

Aus dem oben Dargelegten ist es nur zu verständlich, daß Jugendliche am Ende der Schulzeit bestenfalls rudimentäre naturwissenschaftliche Kenntnisse besitzt. Den Mangel an naturwissenschaftlicher Bildung können sie als Erwachsene aber kaum mehr nachholen. Fachliteratur erscheint für Laien weitestgehend unverständlich, die Suche nach leicht lesbarer Information endet häufig bei pseudowissenschaftlichen Darstellungen.

Print- und Unterhaltungsmedien gehen davon aus, daß Nachrichten/Sendungen mit seriösem naturwissenschaftlich-technischem Inhalt prinzipiell nicht die erhoffte Quote bringen können. Dementsprechend ist naturwissenschaftliche Information unterrepräsentiert, rangiert auch in den besten Printmedien unseres Landes am unteren Ende der Rubriken und wird dann häufig nur in "mediengerechter", das heißt reißerischer, weitestgehend oberflächlicher Form gebracht. Postings zu diesen Beiträgen sind rar und häufig nichtssagend, können jedoch enorme Zahlen erreichen, wenn Ängste hinsichtlich einer „Zeitbombe“ geschürt wurden oder über angebliche Skandale berichtet wurde.

Der mit Zwangsgebühren finanzierte ORF, der ja seinen Bildungsauftrag erfüllen sollte, hat  „wissenschaftliche“ Sendungen in den letzten Jahren drastisch reduziert: von 303 Stunden Sendezeit im Jahr 2009 auf 232 Stunden in 2011 – von insgesamt 17.704 Programmstunden. Es hat also dafür nur noch knapp über 1 Prozent seiner Sendezeit zur Verfügung gestellt (Quelle: ORF-Jahresberichte 2009, 2010, 2011)

Aber auch in diesen wenigen Sendungen beschränkt sich ein beträchtlicher Teil auf das Aufzeigen schöner Bilder von Landschaften, Fauna und Flora. Es wird aber kaum wissenschaftliche Information geboten.

Die Fragen „Sind von Medien kommunizierte Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften, unserer Gesellschaft zumutbar? Kann man die Menschen damit vielleicht sogar begeistern?“ sind aus den Erfahrungen in der Vergangenheit zweifellos mit „Ja“ zu beantworten. In den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts liefen hervorragend gemachte, spannende Serien „Alles Leben ist Chemie“ (kommentiert von dem weltberühmten Polymerforscher Hermann Mark) und „Der gläserne Mensch“ (kommentiert von dem international renommierten Internisten Karl Fellinger). Diese Serien fanden enormen Zuspruch und Interesse in praktisch allen Bevölkerungsschichten und waren richtige Straßenfeger.

Das aktuelle Versagen von Bildungseinrichtungen und Medien in der Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens läßt sich in beiden Fällen auf eine kurze Formel reduzieren: Desinteresse und mangelnde Kompetenz der Programmgestalter führt zu inadäquaten Programmen, für deren  Umsetzung viel zu knappe Zeitspannen angesetzt sind.


Abbildung. Wissenschaft in den ORF Programmen.  Das ORF-Fernsehen strahlte 2011 netto 17.704 Programmstunden aus, davon entfielen nur knapp über 1 Prozent auf Wissenschaft und Bildung (große Grafik). Das kleine Insert zeigt die Reduktion der Sendezeit von 303 Stunden im Jahr 2009 auf 232 Stunden in 2011( Quelle: ORF-Jahresberichte 2009, 2010, 2011).

In diesem wenig positiven Umfeld sehen wir den Science-Blog als vielversprechende Möglichkeit, um naturwissenschaftliche Inhalte einem breiteren Kreis zu kommunizieren: auf Grund der ausgewiesenen hohen Kompetenz der Autoren können Besucher seriöse Information erwarten. Auf dieser Plattform können wichtige Themen auch in Hinblick auf deren Möglichkeiten und Auswirkungen für Österreich diskutiert werden.

Die Zukunft dieser Plattform ist daher einzig von der Unterstützung durch Leser und User abhängig. Auch scheinbar laienhafte Kommentare sind eine wichtige Verbreiterung des Sichtfeldes und zeigen den Autoren, wie sie bei Nichtexperten verstanden werden. Die Redaktion des Blogs freut sich aber auch über jeden konstruktiven Hinweis und Vorschlag.

Jeder Link auf den Blog oder auf einzelne Artikel verschafft diesem Bemühen um grundlegende und sachliche Informationen eine breitere Basis. Und wir alle wissen, dass die Mundpropaganda im Freundeskreis überhaupt die glaubwürdigste Form ist, einer wichtigen Initiative zu mehr Verbreitung zu verhelfen.

Denn letztlich hängt vom wissenschaftlichen Niveau und Wissen der Öffentlichkeit die Wettbewerbsfähigkeit Europas und insbesondere unserer Heimat ab. Damit aber auch unser künftiger Wohlstand, Frieden und Stabilität.