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Evolution – Quo Vadis?
Uwe Sleytr
 

Evolution – Quo Vadis?

Die Evolution verläuft nach Regeln, die von einfacheren zu immer komplexeren neuen Lebensformen führen. Unglaublich viele dieser Lebensformen sind auf dem Weg bis zu uns Menschen bereits ausgestorben. Wie dieser Weg weitergeht, ist für uns nicht voraussehbar.

Uwe Sleytr für den Science-Blog

Wir leben wissenschaftlich in einer faszinierenden Zeit. Einzelwissenschaften, wie beispielsweise Physik, Chemie, Biologie, Zell- und Molekularbiologie, Genetik, Synthetische Biologie, Materialwissenschaften und Kognitionswissenschaften, verlieren ihre Grenzen. Wir sprechen auch von einem Paradigmenwechsel, weg von den Einzelwissenschaften hin zu den „Converging Sciences“, also einer methodischen Verschmelzung der Wissens- und Forschungsgebiete. Fragt man nach den Gründen für diese Entwicklung, zeigt sich immer deutlicher, dass über ein immer tiefer gehendes Verständnis der Materie und der ihr innewohnenden Fähigkeit immer komplexere Strukturen einzunehmen, auch die Grenzen zwischen unbelebter und belebter Materie verschwinden. Am Horizont unserer Erkenntnis sehen wir immer klarer einen dem Universum innewohnenden Mechanismus. Insbesondere sind es die Gesetzmäßigkeiten der biologischen Evolution, die unsere naturwissenschaftliche Denkweise beeinflussen.

Die Kreativität der Evolution

Die Evolution besitzt keine Intelligenz aber ihre schöpferische Kraft, neue Systeme hervorzubringen, ist phantastisch.

In kosmischen Dimensionen gedacht, sind wir mit einer etwa 3,5 Milliarden Jahre dauernden biologischen Evolution auf unserer Erde vermutlich erst in einer sehr frühen Phase der Entwicklungsmöglichkeiten oder des „Potentials“ des Lebens. Jetzt ist die Evolution eben erst beim Menschen angelangt. Provokant formuliert: Jetzt haben die Gesetzmäßigkeiten der Evolution eben erst den Menschen hervorgebracht. Selbst wenn wir uns sehr ernst nehmen und uns (aus offensichtlicher Arroganz heraus) als „Krone der Schöpfung“ bezeichnen, müssen wir akzeptieren, dass auf dem Weg bis zum Menschen bereits unglaublich viele Lebensformen ausgestorben sind. Wir sind somit – sehr wahrscheinlich – auch ein Zwischenprodukt auf einem nicht immer kontinuierlich laufenden Wege zu einer immer  höheren Komplexität des Lebens oder der Lebensformen.

Unser Dilemma ist, dass wir zwar in der jüngsten Zeit unserer Geschichte die molekularen Mechanismen, die zur Evolution führen, mehr und mehr verstehen und auch erstmals Methoden entwickeln, um gezielt in das Erbgut einzugreifen, diese Erkenntnisse aber nicht ausreichen, um die biologische Evolution im Sinne des ihr innewohnenden Prinzips zu betreiben. Soweit wir es erkennen, experimentiert die Natur nach dem Prinzip: Was „funktioniert“ setzt sich durch. Wie aber die Evolution in Fortsetzung des bisherigen Ablaufes weitere Systeme erzeugt und verfeinert  – oder sollte man vielleicht besser sagen: „verfeinert wird“ – ist eine der faszinierendsten Frage der Gegenwart.

Jedenfalls ist der Stand unserer heutigen wissenschaftlichen Erkenntnis, dass die Evolution ein System mit Regeln aber ohne Zielrichtung ist, das sich – zumindest auf der Ebene von Molekülen wie z.B. den Nukleinsäuren – im Reagenzglas experimentell ausführen lässt. Das heißt aber auch, dass das, was wir als Evolution erleben und erkennen, ein dem Universum innewohnender Mechanismus ist, bei dem „Chaos und Ordnung“ eng miteinander verbunden sind. „Chaos und Ordnung“ sind dabei zwei Pole desselben Phänomens, und wie auch mathematische Modelle zeigen, ist die Musterbildung und Selbstorganisation der Materie zu komplexeren Formen ein tief im Universum verankertes System.

Ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf  die Schlüsselarbeiten von Mandelbrot, die stark darauf hinweisen, dass der Natur – die biologische Welt eingeschlossen – eine Mathematik zugrunde liegt (Abbildung 1). Offensichtlich beruhen komplexe Systeme oft auf sehr einfachen Regeln. Bei den Fragen nach der Entstehung der Vielfalt der Formen nimmt das Problem der Rückkopplung von Prozessen und der damit verbundenen nicht Vorhersehbarkeit der Ereignisse eine immer zentralere Stellung ein.


Abbildung 1.  Die Mandelbrot-Menge (oben). Die Iteration einer einfachen Beziehung (zn+1 = zn2 + c, die Zahlen zi und c sind komplexe Zahlen) führt zu einem ungeheuren Formenreichtum selbstähnlicher Strukturen. Derartige, sogenannte fraktale Strukturen finden sich auch in der Natur (unten): Farn, Eis auf Glasscheibe, Romanesco (Karfiol-Variante).

Grenzen der Erkenntnisfähigkeit

Exzellente Wissenschaft bewegt sich auf einem reproduzierbaren Methodengefüge mit der gegebenen Limitierung, dass man mit seinen Experimenten in der gesicherten  Erkenntnis nur so weit kommen kann, wie es die verfügbaren Methoden erlauben. Leider kommen wir auf diese Weise aber in unserer Erkenntnis nur dorthin, wohin wir können und nicht wohin wir wollen. Wir sind mit unserer Neugier und unserem Erkenntnisfortschritt gleichsam ein an einem Treibanker hängendes Schiff. Wir sehen den Horizont aber wir wissen nicht was dahinter liegt. Zudem führen die Erkenntnisse der Wissenschaft  systemimmanent fast immer zu neuen Fragestellungen. In vielen Bereichen der Naturwissenschaften bewegen wir uns nur auf einem „reproduzierbaren Netzwerk der Erkenntnisse“. Aber was liegt dazwischen? Werden wir in diese offenen Bereiche je hineinschauen können, und werden wir diese Bereiche  je mit „Erkenntnissen“ füllen können?

Wenn wir unsere Position als Menschen auf der Basis der Erkenntnisse der Eigenschaften der Materie betrachten, bleiben unendlich viele Fragen offen und wir müssen uns – ob wir wollen oder nicht – zur Erkenntnis durchringen, dass wir nur einen Abschnitt in der weiterlaufenden biologischen Evolution auf der Erde repräsentieren, mit der Einsicht und dem Bewusstsein, dass ein tiefes Verständnis des Kosmos für immer jenseits unseres Verständnishorizontes liegen wird. Vieles was uns in einem kontinuierlichen Prozess vom „Einfachen“ zum immer „Komplexeren“ ausmacht, wird sehr wahrscheinlich auf Grund der Limitierung unseres neuronalen Netzwerkes (Erkenntnisleistung) nie erkennbar werden.

Was kommt nach uns?

Unsere engsten Verwandten, die Schimpansen, erfüllen uns mit Erstaunen, wenn sie primitive Werkzeuge verwenden. Beispielweise mit Grashalmen Termiten aus Löchern im Bau zu holen oder zu lernen mit Steinen Nüsse aufzuschlagen. Es würde uns allerdings nie in den Sinn kommen, ihnen die Relativitäts- oder Quantentheorie bzw. die Möglichkeiten der Synthetischen Biologie zu erklären. Obwohl wir uns, bildlich gesprochen, als die „Krone der Schöpfung“ ansehen, müssen wir erkennen, dass wir im Zuge der Evolution und der dem Universum innewohnenden Prinzipien – in einem vorhersehbaren Zeitverlauf – also im Verlauf der kommenden Evolutionsgeschichte uns als Äquivalente der Schimpansen finden könnten. Wir müssen akzeptieren, dass es Erkenntnishorizonte gibt, die selbst den genialsten Vertretern unserer Spezies nicht zugänglich sind und auch nicht zugänglich sein werden.

Der Abstand von einem instinktmotivierten Verhalten zu einem abstrakten Denken, könnte den gleichen Abstand geben wie unser abstraktes Denken zur nächsten Stufe des Erkennens in der Evolution.  Wir müssen wohl erkennen, dass für uns Menschen diese „nächste“ Stufe ungeachtet aller unserer naturwissenschaftlichen Anstrengungen (auch der zukünftigen Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz) nicht zugänglich sein wird. Der Abstand zu uns mag dann wie zwischen dem einen Grashalm verwendenden Schimpansen zum Physiker am Teilchenbeschleuniger des CERN liegen.

Ausblick

Wir sind auf dem Punkt der Erkenntnis, dass die gesamte Komplexität des Universums bestimmten Regeln entspricht. Wir wissen, dass basierend auf diesen Regeln bei einer fortlaufenden Evolution Erstaunliches entstehen wird, aber die Produkte sind für uns nicht vorhersehbar. Der Versuch, die nächsten Stufen der Evolution aus den bisherigen Abläufen zu extrapolieren, muß in „Science Fiction“ enden, die – entsprechend unserer Erkenntnisfähigkeit – auf der kreativen Verwendung bekannter Module aufbaut (Abbildung 2).

Abbildung 2. Monster -Kreative „Schöpfungen“ auf der Basis bekannter Module (Hieronymus Bosch um 1500)

 

 

 

Weiterführende links

Mandelbrotmenge (4:16 mim.)

Blog-Beiträge

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