Deutschlands gemütliche Machtergreifung von 2024/25
Die Ampel ist passé. Ihr Chef Scholz hat die sogenannte "unechte Vertrauensfrage" dem aktuellen deutschen Bundestag vorlegen müssen. Dieser ist durch Gesetz gelähmt und entmündigt: Er darf sich nicht selbst auflösen. Grund dieses "Missgeschicks": Eine Erbschaft von Hitlers (Un-)Gnaden: keine Partei soll eine neuerliche "Machtergreifung" planen und durchführen können.
Die abgetretene Ampel-Regierung der aktuellen Berliner Republik genoss nicht mehr das Vertrauen des Souveräns, sie konnte daher nicht mehr dessen politischen Auftrag erfüllen, als Repräsentant seines Mehrheitswillens zu regieren. Doch ohne erkennbaren und respektierten Mehrheitswillen ist jede Demokratie nur noch ihre eigene Farce und Realsatire – behaupten jedenfalls Geist und Gesetz der bisherigen Demokratie. Neuwahlen sollen nun das Schlammassel klären, das niemand wollte, aber auch niemand verhindert hat.
Doch leiden die heutigen deutschen Altparteien an einem kollektiven Verfolgungswahn – die nächste Erbschaft von Hitlers Tausendjährigem Reich: Die AfD darf nicht Mit-Regierungs-Partei werden, obwohl sie längst schon ähnlich stark im heutigen deutschen Volk verankert ist wie die schrumpfenden Altparteien.
Wobei aber der aktuelle deutsche Souverän nicht mehr "Volk", sondern nur noch "Bevölkerung" genannt werden darf – noch eine Erbschaft von Hitlers Tausendjährigem Reich. Nur noch gelegentlich darf das Wort "Deutschland" als Gebrauchsmöbel (als Camping-Stuhl?) mitgeführt werden, etwa bei internationalen Sportbewerben, die Nationalstaaten aus aller Herren Länder versammeln.
In dieser Lage, die irgendwie (Genaues wissen nur die selbsternannten Experten) an die Weimarer Republik kurz vor der Machtergreifung im Jahr 1933 erinnert, bietet sich ein völlig neuer Weg an: eine neue Art von Demokratie: eine wirklich mögliche "Politiker-Demokratie".
Die zwar zerfallenden, aber immer noch Parlaments-Mehrheiten "schaffenden" Altpartien (nun auch politisch, nicht nur terminologisch: ohne "Volk") machen gemeinsame Sache und
kuscheln sich vor dem Kamin einer heimelig lodernden Brandmauer gemütlich zusammen. Gut kuscheln ist halb schon gewonnen: eine ganz neue Art von Machtergreifung, die völlig friedlich verläuft, bis plötzlich ein letzter Noch-Deutscher aufschreit und zu brüllen beginnt: "Des Kaisers neue Kleider".
Dieser arme Michel wird zwar rasch aufgedeckt und denunziert und einer nachhaltigen Gewissensprüfung unterzogen. Aber sein Bazillus liegt in seinem Blut. Dieses mahnt ihn, an frühere Machenschaften erfolgreicher Machtergreifungen zu denken: an Geheimdienste (Gestapo-Beamte) und Umerziehungslager (Dachau und Wöllersdorf) – und kann nicht aufhören zu schreien: "Des Kaisers neue Kleider".
Aber während er noch schreit, prasseln auf ihn die unaufhörlich weiterredenden Stimmen der neuen Demokraten nieder: noch amtierende Politiker, noch sendende Sender, nach tastierende Journalisten und andere Meinungsmacher.
Und auch für diesen Übergangszustand könnte der letzte und immer noch schreiende Michel viele Erinnerungsfotos und Erinnerungsbücher aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts vorweisen. (Viktor Klemperers Tagebuch von 1933-1945 wird noch heute gelesen.)
Der Überprüfungsbeamte der neuen Demokratie gibt sich große Mühe, unaufhörlich versucht er sein Prüfungs-Opfer zu überzeugen: Jetzt ist 2024, und schon lange ist 1933 vorbei. Wenn Du aber noch weiter schreist, wissen wir, welcher Dämon in Dich gefahren ist, sein Name ist Legion.
Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.