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Wenn alle untreu werden

Wenn alle untreu werden

Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu,

dass immer noch auf Erden für euch ein Fähnlein sei.

Gefährten uns‘rer Jugend, ihr Bilder bess‘rer Zeit,

die uns zu Männertugend und Liebestod geweiht.

 

Wollt nimmer von uns weichen, uns immer nahe sein,

treu, wie die deutschen Eichen, wie Mond und Sonnenschein!

Einst wird es wieder helle in aller Brüder Sinn,

sie kehren zu der Quelle in Lieb‘ und Reue hin.

 

Es haben wohl gerungen die Helden dieser Frist,

und nun der Sieg gelungen übt Satan neue List.

Doch wie sich auch gestalten im Leben mag die Zeit,

du sollst uns nicht veralten, o Traum der Herrlichkeit.

 

Ihr Sterne seid uns Zeugen, die ruhig niederschau’n,

wenn alle Brüder schweigen und falschen Götzen trau’n;

wir woll’n das Wort nicht brechen, nicht Buben werden gleich,

woll’n predigen und sprechen vom heil’gen deutschen Reich.

 

Inwieweit hat dieser im Herbst 1814 von Max von Schenkendorf nach einer Vorlage von Novalis geschaffene Text irgendetwas mit der über 120 Jahre danach im Dritten Reich installierten "Schutz-Staffel" (SS) zu tun, welche sich den Text und die von einem französischen Jagdlied "abgekupferte" Melodie als "ihr" Lied angeeignet hat? Der Text ist ein Zeitzeugnis, erstellt von einem jungen Studenten anlässlich einer recht problematischen Weichenstellung in der deutschen Geschichte, durch welche dieser und seine Weggefährten ihre Ideale verraten sahen. Ich habe das Lied (in Unkenntnis der unpassenden "Inbesitznahme" durch die SS) oftmals zum ehrenden Gedenken an die Begründer der national-liberalen Gesinnungsgemeinschaft gesungen, der ich seit mehr als 60 Jahren angehöre.

Der ganz im etwas schwülstigen Stil der Romantik verfasste resignative Text ist ein Abgesang an einen (nach dem Vorbild Frankreichs, Englands und Russlands gebildeten) geeinten deutschen Nationalstaat, der die Nachfolge des seit Karl dem Großen bestehenden Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hätte antreten sollen, und an "Brüder", die sich damit schon abgefunden haben.

Dieses tausendjährige Reich war durch die im Jahr 1806 erfolgte Niederlegung der (in der Wiener Schatzkammer aufbewahrten) zugehörigen Kaiserkrone durch den Habsburgerkaiser Franz II. zerbrochen, welcher damit u. a. darauf reagierte, dass im Rahmen der Napoleonischen Kriege eine erkleckliche Anzahl deutscher Fürsten mit Napoleon gemeinsame Sache gemacht hat. Viele Studenten, darunter auch Schenkendorf, kämpften vor allem im Lützowschen Freikorps, dem auch mehrere als Männer verkleidete Frauen angehört haben, gegen die Franzosen und träumten von einem solchen Nationalstaat als Ergebnis ihres Befreiungskampfes gegen Napoleons Truppen.

Aus Wikipedia: Das Lützowsche Freikorps hatte aufgrund seiner Zusammensetzung aus Freiwilligen fast aller deutscher Staaten eine hohe Symbolkraft für die Bestrebungen zur Errichtung eines deutschen Nationalstaates. Von seinen Uniformfarben (schwarzes Tuch mit rotem Vorstoß und goldenen Knöpfen) leiten sich die deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold her.

Bei dem ab Herbst 1814 tagenden Wiener Kongress zur Neuordnung Europas stellte sich aber sehr rasch heraus, dass es (vor allem aufgrund der Spannungen zwischen Österreich und Preußen) zu einem deutschen Nationalstaat nicht kommen werde, sondern nur zu einem losen "Deutschen Bund" souveräner Staaten unter österreichischem Vorsitz. Für die genannten Studenten war das eine riesige Enttäuschung, auf welche Schenkendorfs Text Bezug nimmt.

Im Jahr 1815 wurde dann in Jena die erste gesamtdeutsche "Burschenschaft" (mit schwarz-rot-goldenem Couleurband) in bewusstem Gegensatz zu den älteren Landsmannschaften gegründet, welche, wie der Name schon sagt, nur Zusammenschlüsse von aus derselben Region kommenden Studenten darstellten. Die neue Idee stieß auf große Zustimmung, bald hatte nahezu jede Universitätsstadt im deutschen Raum ihre eigene Burschenschaft (oder auch mehrere). Sie alle verband der Wunsch nach einem gesamtdeutschen freiheitlichen Verfassungsstaat, was von der Obrigkeit, allen voran Österreichs Kanzler Metternich, als Bedrohung angesehen wurde.

Die Folge davon war ein Verbot der Burschenschaften im August 1819. Auch dazu wurde (von Daniel August Binzer) ein Lied mit einem berührenden Text geschrieben:

 

Wir hatten gebauet ein stattliches Haus,

und d’rin auf Gott vertrauet, trotz Wetter, Sturm und Graus.

 

Wir lebten so traulich, so innig, so frei,

den Schlechten ward es graulich, wir lebten gar zu treu!

 

Man lugte, man suchte nach Trug und Verrat,

verleumdete, verfluchte die junge grüne Saat!

 

Was Gott in uns legte, die Welt hat’s veracht’t,

die Einigkeit erregte bei Guten selbst Verdacht!

 

Man schalt sie Verbrechen, man täuschte sich sehr,

die Form kann man zerbrechen, die Liebe nimmermehr.

 

Das Band ist zerschnitten, war Schwarz, Rot und Gold,

und Gott hat es gelitten, wer weiß, was er gewollt!

 

Das Haus mag zerfallen – was hat’s dann für Not?

Der Geist lebt in uns allen, und uns’re Burg ist Gott! 

                                              *****

Der weitere Verlauf der Geschichte und insbesondere jener der Burschenschafterbewegung, die sich letztlich nicht aufhalten ließ und die maßgeblich zur Demokratisierung und Liberalisierung im deutschen Kulturraum beigetragen hat, wurde von mir in meinem Buch "National und Liberal" ausführlich abgehandelt. In kompakter Form kann das u. a. in einem Aufsatz gleichen Titels nachgelesen werden, der sich auf meiner Website http://www.grillmayer-dieter.at unter "Aufsätze/Sonstige" befindet.

 

Dieter Grillmayer war langjähriger AHS-Direktor.