Die biomimetische künstliche Nase – wie weit sind wir?
Teil 1: Künstliche Sensoren nach dem natürlichen Vorbild unserer fünf Sinne
Sehen und Hören
Wenn wir uns unsere fünf Sinne (siehe die entsprechende allegorische Darstellung in Abbildung 1 von Hans Makart, dessen große Retrospektive vor kurzem im Wien-Museum und im Belvedere zu Ende gegangen ist) vergegenwärtigen und uns fragen, welche dieser Sinne eigentlich eine technische Umsetzung im Sinne der Entwicklung von künstlichen Sensoren in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, so fällt uns sofort ein, dass wir mit physikalischen Transducern, basierend auf der sehr weit entwickelten Halbleitertechnik, heute was das Sehen angeht sogar das menschliche Auge übertreffen können: wir sind in der Lage, einzelne Photonen nachzuweisen und zu zählen. Vergleichbare Empfindlichkeiten bei der Detektion von Schall erreichen wir mit höchst-sensitiven Mikrophonen, deren technische Leistungsfähigkeit, z.B. beim Abhören von Gesprächen über weite Distanzen, uns sogar ein wenig erschaudern lässt.
Abbildung 1: Die fünf Sinne, Gemälde von Hans Makart aus den Jahren 1872–1879: Tastsinn, Hören, Sehen, Riechen, Schmecken
Schmecken und Tasten
Das Schmecken (der Geschmackssinn) im engeren physiologischen Sinne als gustatorische Wahrnehmung muss etwas differenzierter betrachtet werden: Der Geschmack ist der komplexe Sinneseindruck bei der Nahrungsaufnahme. Er entsteht durch das Zusammenspiel von Geschmackssinn, Geruchssinn und Tastsinn (der Lippen, der Zunge und der Mundhöhle). Etwa 80 Prozent des empfundenen Geschmacks sind in Wirklichkeit die Aromen einer Speise, die vom Geruchssinn wahrgenommen werden, nur rund 20 Prozent entstehen auf der Zunge. Die Haptik von Speisen, die den Sinneseindruck beim Ertasten von Nahrungsmitteln im Mund bestimmt, ist in der Nahrungsmittelindustrie längst ein ganz wichtiger Faktor bei Produktion und Vermarktung von Nahrungs- und Genussmitteln. (Und wer jemals Mayonnaise selbst gemacht und nicht aufgepasst hat, das Produkt aber dennoch gekostet hat, weiß, wovon hier die Rede ist…). Nicht nur bei der Haptik von Speisen, auch beim Beispiel vom Makart, wo es um das Ertasten eines Gegenstandes oder Körpers mit den Händen geht, haben wir technisch rein gar nichts vorzuweisen: wir schaffen es gerade mal in der Robotik ein Ei von künstlichen Greifarmen so aufheben zu lassen, dass die Eierschale nicht bricht - einen Tasteindruck durch entsprechend eingebaute Sensoren können wir bei diesem Vorgang nicht nachbauen.
Der Vollständigkeit halber wollen wir kurz erwähnen, dass derzeit fünf Geschmacks-qualitäten als allgemein wissenschaftlich anerkannt gelten: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Für sie sind eigene Geschmacksrezeptoren auf der Zunge nachgewiesen. Die generell weniger vertraute Geschmacksqualität “umami” wurde vom japanische Forscher Kikunae Ikeda 1908 beschrieben. Er fand heraus, dass es eine Geschmacksqualität abseits der üblichen Einteilung in süß, sauer, salzig und bitter gibt, welche besonders proteinreiche Nahrungsmittel anzeigt. Der Träger des Umami-Geschmacks ist die freie, aus den Proteinen stammende Aminosäure Glutaminsäure.
Die entsprechende künstliche Sensorik für diese Geschmacksqualitäten ist sehr unterschiedlich entwickelt. Sauer und salzig sind – entsprechend ihrer einfachen physikalisch-chemischen Definition als pH-Wert einer Lösung oder der Konzentration an gelösten Ionen - sehr präzise und schon seit langem mit entsprechenden technischen Sensoren bestimmbar. Ähnliches gilt für die Bestimmung der Zuckerkonzentration einer Lösung, denken wir nur an den Glucose-Sensor für die Bestimmung des Blutzuckerspiegels. Allerdings sollten wir auch hier die Komplexität des Problems für die Sensorik, gegeben durch die Vielzahl von chemisch unterscheidbaren Zuckern und ihrer physiologischen Wirkung auf unseren Geschmack, nicht unterschätzen. Und schließlich sollte auch erwähnt werden, dass wir bei der Entwicklung eines Sensors für die Geschmacksrichtung „bitter“ noch ganz am Anfang stehen, was damit zu tun hat, dass die entsprechende Forschung noch sehr jung ist: so haben Forscher der TU München erst 2009 Nierenzellen gezüchtet, in denen jeweils einer der 25 menschlichen Bitterrezeptoren zur Expression gebracht wurde. Diese Spezialzellen dienten im Laborversuch als Biergeschmacks-Sensor – ein Anfang ist also gemacht…
Riechen
Ganz ähnlich ist die Situation beim Riechen, der Sinneswahrnehmung und ihrer technischen Implementierung in einem Geruchssensor, von denen dieser Beitrag eigentlich handeln soll. Wie wohl eines der ältesten sensorischen Elemente und aus der archaischen, schon beim Einzeller entwickelten Chemotaxis entwickelt, sind wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse erst in jüngerer Zeit erarbeitet worden. Abbildung 2 gibt den zeitlichen Ablauf einiger wichtiger Meilensteine in der Erforschung des Geruchssinns wider. Besonders das Jahr 1991 – also erst vor gerade mal 20 Jahren – markiert einen wissenschaftlichen Durchbruch durch die Arbeiten von Linda Buck vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle und Richard Axel vom Howard Hughes Medical Institute und der Columbia University in New York, in denen sie die Entdeckung der olfaktorischen Rezeptoren (Geruchsrezeptoren) in Wirbeltieren, also im Hund und auch beim Menschen beschreiben. Die Bedeutung, die man diesen Ergebnissen beimisst, kann man daran erkennen, dass beiden Wissenschaftlern dafür 2004 der Nobel-Preis für Medizin zuerkannt wurde.
Abbildung 2: Wichtige Erfolge und ihre zeitliche Abfolge in der Forschung
zum Thema Geruchssinn.
Dieser enorm späte Aufbruch in das Zeitalter der Geruchsforschung ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, welche Bedeutung der Geruchssinn und damit die chemische Kommunikation auch zwischen Menschen hat (wer eine kabarettistische Aufarbeitung dieses Themas bevorzugt, sollte sich die entsprechenden Kapitel in Die Leber wächst mit ihren Aufgaben: Komisches aus der Medizin, von Eckart von Hirschhausen gönnen…). So sehr wir bemüht sind, unsere natürlichen Geruchssignale an unsere Umwelt durch entsprechende Hygiene und Beträufeln mit zum Teil penetranten Duftstoffen wie Parfum, Rasierwasser oder Deodorant zu verschleiern, werden wir doch täglich in ungeahnter und einer im Wesentlichen völlig un(ter)bewussten Art und Weise durch Gerüche erheblich manipuliert: An verschiedenen Stellen im Supermarkt muss es in ganz bestimmter Weise riechen, damit wir das gewünschte Kaufverhalten austoben (und wir tun es!); manche Airlines geben ihrer Frischluft in der Business Klasse einen bestimmten Duftstoff bei, der diesen (wichtigen) Kunden dort auch das (unbewusste) Gefühl vermittelt, in der Business Klasse zu fliegen (wofür sie schließlich viel Geld bezahlt haben); wir alle lieben den Geruch von Weichmachern, die für die Fertigung von Plastikteilen unerlässlich ist – schließlich sind sie es, die uns durch ihr ständiges Ausdünsten aus frisch gefertigten Armaturenbrettern bestätigen, dass wir in einem brandneuen schicken Wagen fahren. Wer noch nicht überzeugt ist, wie wichtig Gerüche und chemische Kommunikation in unserem Leben sind, sollte mal seinen eigenen Wortschatz durchforsten („mir stinkt’s“, „ich kann den Kerl nicht riechen“, „jemandem etwas auf die Nase binden“, etc) oder sollte sich die historisch-literarische Aufarbeitung der Themas in Patrick Süskind’s Buch Das Parfum gönnen.
Ernster gemeint ist der Hinweis, dass neuere Forschungen zur chemischen Kommunikation zwischen Menschen über den Austausch von Pheromonen einen faszinierenden Einblick in menschliches Sozialverhalten, auch und gerade bei der Partnerwahl geben: neben den optischen und akustischen sind es vor allem die chemischen Signale, die den entscheidenden Einfluss auf unsere Entscheidung haben. Es geht aber noch weiter: Duftstoff und Rezeptor sind ein wichtiges Instrument der Arterhaltung. Dies kann man einer Notiz aus Zeit Online vom 7.10.2004 aus Anlass der Verleihung des Nobel Preises an Axel und Buck entnehmen: “… Drum prüfe, wer sich ewig bindet, empfiehlt Friedrich Schiller Brautpaaren in seinem Klassiker. Dem prüfenden Paar können Molekularbiologen nun einen neuen Tipp geben: mit der Nase testen, ob künftig seine Spermien den Weg zu ihrem Ei finden. Der Fruchtbarkeitstest geht so: Sie lässt ihn an Maiglöckchenduft schnuppern. Riecht der Bräutigam nichts, dann hat er sehr wahrscheinlich ein Problem. Nicht nur in seiner Nase fehlt der funktionierende Riechrezeptor für den Maiglöckchenduft, sondern auch auf seinen Spermien. Normalerweise schwimmen diese, quasi immer nur der Nase nach, zum Maiglöckchenduft verströmenden Ei. Ist der Duftrezeptor der Spermien defekt, dann geht es ihnen wie einem Radio ohne Antenne – sie rauschen nur sinnlos herum.….“ (Anm.: diese Forschung geht auf Hanns Hatt von der Ruhr Universität Bochum zurück).
Es ist wohl vor allem der bereits angedeuteten Komplexität des Geruchsvorgangs zuzuschreiben, dass wir erst so langsam verstehen, wie die zugrunde liegenden Prozesse ablaufen und wie sie in der Natur durch entsprechende Strukturen realisiert sind. Und ohne diese Kenntnis der Baupläne und ihrer Funktionsbeschreibung war es natürlich nur unzureichend möglich, über einen biomimetischen Geruchssensor nachzudenken.
Anmerkungen der Redaktion
Glossar
Chemotaxis: Bewegung von Zellen (Organismen) in Richtung des Konzentrationsgradienten einer chemischen Substanz
Glucose: einfacher Zucker, der Lebewesen als primäre Energiequelle dient und Lieferant wichtiger Zwischenprodukte im Stoffwechsel ist. Hauptprodukt der Photosynthese, kann aber auch von allen Lebewesen selbst hergestellt werden.
pH-Wert: Maß für den sauren oder basischen Charakter einer wässrigen Lösung; definiert durch den negativen (dekadischen) Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration (-aktivität). Wasser mit üblicherweise neutralem Charakter hat einen pH-Wert um etwa 7.0. Lösungen mit pH-Werten unter 7 werden als sauer bezeichnet, über 7 als basisch.
Über den Autor:
Prof. Dr. Wolfgang Knoll hat Physik und Biophysik an der Technischen Universität Karlsruhe und der Universität Konstanz studiert, war u.a. Laborleiter für "Exotische Nanomaterialien" am RIken Institut (Japan), Professor an mehreren hochrangigen Universitäten, langjähriger Direktor am Max Planck Institut für Polymerforschung (Mainz) und ist seit 2008 wissenschaftlicher Geschäftsführer des Austrian Institutes of Technology (AIT). Forschungsgebiete: Eigenschaften polymerer und bioorganischer Systeme in dünnen Filmen und funktionalisierten Oberflächen, Biomimetik.
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