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Warum die ÖVP nicht Selbstmord begehen sollte

Warum die ÖVP nicht Selbstmord begehen sollte

Die diversen Linksparteien haben Recht. ÖVP-Obmann Karl Nehammer hat Recht. Und auch Bundespräsident Alexander van der Bellen hat Recht. Aber absolut nichts von diesen drei Festlegungen am Wahlabend war ein relevantes Argument gegen eine blau-schwarze Regierung. Ganz im Gegenteil.

Fangen wir bei den interessanten Worten Van der Bellens an. Er erteilt der FPÖ zwar nicht den von Herbert Kickl so ersehnten Auftrag zur Regierungsbildung. Aber diesen Auftrag gibt es auch nicht für irgendeine andere Partei. Und der Bundespräsident schließt umgekehrt auch keine Person oder Partei von der Teilnahme an der Regierung aus, wie es die anderen Parteien gehofft haben.

Van der Bellen tut vielmehr klugerweise das einzige für ihn Mögliche: Er wiederholt das, was Thomas Klestil nicht ganz so freiwillig im Jahr 1999 nach einem klugen Schachzug von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider tun musste. Er lässt ohne spezifischen Auftrag zwischen allen Parteien verhandeln – in der Hoffnung, dass dadurch eine Mehrheit zusammenfindet und er nicht die Verantwortung für eine Beauftragung eines Regierungschefs tragen muss.

1999/2000 hat sich so eine vom Bundespräsidenten eigentlich gar nicht gewollte schwarz-blaue Mehrheit zusammengefunden. Im September 2024 lässt Van der Bellen hingegen – im Gegensatz zu früheren Äußerungen – keinerlei ablehnende Haltung mehr gegenüber irgendeiner Partei erkennen. Van der Bellen betont lediglich einige Selbstverständlichkeiten, die schon durch die Verfassung einzementiert sind, wie die EU-Mitgliedschaft, die Menschenrechte und die "Unabhängigkeit der Medien".

Offen ließ er nur, ob er mit letzterem Stichwort auch die größten seit Jahr und Tag stattfindenden Einschränkungen dieser Unabhängigkeit meint: Das ist nämlich erstens eindeutig die Medienbestechung einzelner Medien durch parteipolitisch gesteuerte öffentliche Gelder, welche die Gemeinde Wien am weitaus intensivsten betreibt. Und das ist zweitens das einseitige Privileg der (ihm nicht gerade fernstehenden) ORF-Redaktion, Zwangsgebühren von jedem Haushalt zu bekommen und so dick und fett leben zu können, während viele andere Medien ums Überleben kämpfen müssen.

Ob diese Selbstverständlichkeiten wieder einmal in einer Präambel oder sonstwie festgehalten werden, ist ziemlich egal: Nichts davon steht jedenfalls einer blau-schwarzen Koalition im Wege.

Ebenso ans Jahr 1999 erinnert Van der Bellen mit seiner Bemerkung: "Das kann schon dauern." Damals hat die Regierungsbildung ja vom Oktober bis Februar gedauert. Damit meint er ganz offensichtlich: "Jetzt beruhigt euch; an mir wird eine blau-schwarze Regierung nicht scheitern, habe ich doch schon 2017 eine schwarz-blaue angelobt" – samt dem  noch weniger ausgesprochenen Hintergedanken: "Insgeheim mag ich eine blaue Regierungsbeteiligung freilich nicht und werde daher bei erstbester Gelegenheit hinter den Kulissen dagegen intrigieren, so wie ich es schon 2019 getan und sie auch zu Fall gebracht habe."

Auch die Linken haben absolut recht, wenn sie sagen: Es gebe keinen demokratischen  Anspruch der relativen Nummer eins auf die Position des Regierungschefs; es gehe nicht darum, wer als relativ erster ins Ziel gekommen ist, sondern darum, welche Koalition im Parlament mehr als 50 Prozent Unterstützung hat. Sonst hätten nicht in Skandinavien schon mehrmals bürgerliche Parteien ganz wie selbstverständlich eine Koalition gegen die Sozialisten bilden können, obwohl diese als Einzelpartei am stärksten gewesen sind. Sonst hätte es ja auch 1999/2000 in Österreich nicht zur ersten schwarz-blauen Regierung kommen können, sondern zu einer Regierung unter Führung der SPÖ als mandatsstärkster Partei kommen müssen, wie es die SPÖ damals auch verlangt hatte.

Aber wenn wir schon beim Vergleichen mit jener Zeit sind: Damals ist es einzig um die Frage gegangen, ob es eine rot-schwarze oder eine schwarz-blaue Regierung geben wird. Die Alternative war jedenfalls eine Zweierkoalition statt einer anderen Zweierkoalition.

Heute ist hingegen die Alternative zu einer Zweierkoalition unter Führung der stimmstärksten Partei eine Dreierkoalition. Und Dreierkoalitionen können nur unter ideologisch relativ ähnlichen Parteien funktionieren wie etwa in einigen nordischen Ländern oder in Italien, wo die drei rechten Parteien sogar schon vor der Wahl ein Bündnis abgeschlossen haben.

Wären FPÖ und ÖVP übrigens schon vor der Wahl den bisher so erfolgreichen italienischen Weg gegangen, dann hätten auch sie gesagt: Wir wollen nach der Wahl alle früheren Konflikte vergessen und eine Koalition bilden – und die stimmenstärkste Partei von uns soll den Regierungschef stellen. Wären die beiden österreichischen Rechtsparteien diesen Weg gegangen, dann würde Bundeskanzler Nehammer jetzt wohl sein Amt behalten können. Dann wären nicht die Anti-SPÖ-Stimmen aus dem konservativen Lager bei der FPÖ gelandet.

Hingegen sind Koalitionen unter ideologisch völlig ungleichen Parteien gegen den Erstplatzierten immer eine ganz schlechte Formel, wie etwa die deutsche Erfahrung in Hinblick auf eine Dreierkoalition zeigt, und die österreichische in Hinblick auf die schwarz-grüne Zweierkoalition. Das aber wäre die einzige Möglichkeit, ohne die FPÖ eine Regierung zu bilden.

Mit anderen Worten: Gegen eine Regierung Schwarz-Rot-Pink sprechen erstens die großen inhaltlichen Unterschiede in fast allen Kernbereichen der Politik (außer der Außenpolitik) zwischen den wirtschaftsliberalen Parteien ÖVP und Neos auf der einen Seite und den Sozialisten auf der anderen. Und zweitens die Vorteile einer Zweierkoalition gegenüber eine Dreierkoalition.

Jetzt werden manche sagen: Es ginge sich ja auch eine schwarz-rote Zweierkoalition Schwarz-Rot aus. Das wäre aber zu knapp, hätte es doch nur ein oder zwei Mandate Vorsprung und könnte nur dann  funktionieren, wenn man alle Koalitionsabgeordneten im Parlament physisch ankettet und wenn keiner krank werden dürfte. Sonst müsste die Regierung jederzeit mit feindlichen Gesetzesmehrheiten oder gar Misstrauensvoten rechnen.

Wer jetzt auf eine schwarz-rote Koalition setzt, würde sich als Stabilitätspolitiker daher ziemlich unglaubwürdig machen. Und Karl Nehammer würde sich als Person sowohl bei Schwarz-Rot wie auch bei Schwarz-Rot-Pink überdies massiv dem Vorwurf vor allem aber nicht nur von freiheitlicher Seite aussetzen, alles zu tun, nur um seinen Job als Bundeskanzler zu bewahren, selbst wenn seiner Partei ein anderer Koalitionspartner inhaltlich viel näher stünde, selbst wenn eine SPÖ-Beteiligung für Österreich eine Katastrophe wäre.

Jedenfalls ist bei all dem, wofür die ÖVP steht – also insbesondere für ihre wirtschaftspolitische Kompetenz – eine Koalition mit dem linkesten SPÖ-Chef seit 1945 absolutes Harakiri. Daran ändert es auch absolut nichts, wenn man die Neos mit an Bord nimmt. Die können da dazwischen kein Gewicht haben. Wer mit Babler koaliert, ist schuld daran, dass die FPÖ beim nächsten Mal bei 40 Prozent landen wird und dazwischen einige Landeshauptmänner übernehmen kann.

Schließlich hat auch Nehammer mit einer Aussage vom Wahlabend an sich völlig recht: Es gehe nicht um die FPÖ, sondern darum, die FPÖ-Wähler ernst zu nehmen. Aber gerade deshalb ist es unerträglich, mit ein oder zwei Parteien zu koalieren, die zu den Befürwortern der illegalen Migration zählen.

Wenn es der ÖVP ernst ist mit den Inhalten, dann nimmt sie zähneknirschend die gewiss nicht leicht verdauliche Person Kickl hin. Denn dann ist wirtschafts- und sozialpolitisch gemeinsam viel Sinnvolles möglich. Dann lässt sie Kickl im Gegenzug in der Migrationspolitik freie Hand. Und dann setzt sie umgekehrt in der Außenpolitik, von der Ukraine bis zur EU-Politik, glasklare inhaltliche Bedingungen, dass sich da nichts ändern darf; dann setzt sie zweitens durch, dass bei einer neuen Pandemie Österreich wiederum im europäischen Gleichschritt gehen und der großen Mehrheit der Ärzte folgen wird.

Sollte die FPÖ das aber nicht akzeptieren, dann wäre die ÖVP viel glaubwürdiger, wenn sie deswegen ein inhaltlich begründetes Nein zu den Freiheitlichen sagt, als wenn sie schon von vornherein das Fernbleiben Kickls zu einer Koalitionsbedingung macht; oder wenn sie gar den Eindruck erweckt, selbst einen Kanzleramts-Sesselkleber-Parteiobmann zu haben. Die ÖVP darf zwar durchaus selbstbewusst für ihre Positionen kämpfen, hat sie doch fast genausoviel Stimmprozente wie etwa Wolfgang Schüssel, als er Kanzler geworden ist. Sie muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die FPÖ diesmal um 2,5 Prozentpunkte mehr hat. Was aber einer Koalition auf Augenhöhe nicht im Wege steht.

Alles andere wäre politischer Selbstmord auf Raten.