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23 Dinge laufen schief für Putin

23 Dinge laufen schief für Putin

Der Ukraine geht es schlecht. An den Fronten hat sie abgesehen von der nur symbolisch wichtigen Eroberung eines kleinen Stücks russischen Territoriums vor allem den Rückwärtsgang einlegen müssen. Die russische Luftwaffe kann immer wieder Strom-Knotenpunkte treffen und die Energieversorgung großer Gebiete unterbrechen. Und das kommende Jahr droht noch schlimmer zu werden. Jedoch: was man im Westen oft nicht mitbekommt, ist die gleichzeitig eingetretene innere Verschlechterung der Lage Russlands (mit nachträglicher Ergänzung).

Weshalb es der Ukraine schlecht geht, ist weitgehend bekannt. Die Frontlinie liegt mehrheitlich tief in ukrainischem Staatsgebiet. Schon lange sind aus Kiew nicht mehr Hinweise auf eine größere Gegenoffensive zu vernehmen. In den USA übernimmt in wenigen Tagen ein unberechenbarer Präsident die Macht, dem immer wieder gewisse Sympathien für Wladimir Putin nachgesagt werden, und der vor allem Sehnsucht nach einem Deal zur Beendigung des Ukraine-Krieges haben dürfte, der auf Kosten Kiews ginge. Auch in der eigenen Bevölkerung der Ukraine macht sich bei allem kollektiven Hass auf die russischen Invasoren doch eine gewisse Erschöpfung bemerkbar, die sich etwa an der Zahl der vor einem Kriegsdienst flüchtenden Männer zeigt. Die Zivilbevölkerung ist unter dem Bombenterror zermürbt. Und auch in der EU ist die Unterstützung der Ukraine rhetorisch lauter als in konkreter Lieferung von Waffen-Hardware messbar.

Dennoch sieht es auf russischer Seite nicht viel besser aus, wie eine eingehende Analyse zeigt:

  1. So ist es deprimierend und letztlich rassistisch, wenn das große Russland nun zu Tausenden nordkoreanische Söldner verbluten lässt, weil es selbst noch viel mehr mit dem Desertions-Problem zu kämpfen hat.
  2. So hat in China die enge Bindung Nordkoreas an Russland alles andere als Begeisterung ausgelöst, hat doch China den verarmten, aber soldatenreichen Staat der Kim-Dynastie zu seinem eigenen Einflussbereich gezählt, möchte sich doch Peking international als Friedensstifter profilieren.
  3. So hat Moskau in Syrien soeben einen ganz wichtigen Satellitenstaat verloren und muss um seinen einzigen Stützpunkt im Mittelmeer bangen – das ist nicht nur strategisch ein Problem, sondern auch eine große Image-Blamage, zeigt es doch, dass Russland dort aufs falsche Pferd gesetzt hat; und dass der Schutzmantel durch Moskau alles andere als verlässlich ist – was vielen anderen Staaten eine große Lehre ist.
  4. So ist es für Moskau besonders kränkend, dass es die Marine-Hoheit über das Schwarze Meer verloren hat und die Ukraine ihr Getreide wieder exportieren kann; das schmerzt für eine Möchtegern-Weltmacht mehr als die Gebietsverluste bei Kursk.
  5. So war die Ermordung eines wichtigen Generals durch ukrainische Agenten mitten in Moskau ein weiterer Schlag für Putins Ego.
  6. So ist der einzige wirklich erfolgreiche Politiker unter den aufstrebenden Rechtspopulisten im Westen, die Italienerin Giorgia Meloni, nicht nur eine Frau (was für den Macho Putin schon an sich kränkend ist). Italien ist heute auch einer der deutlichsten Unterstützer der Ukraine, Meloni ist überdies unter allen europäischen Führern auch am klarsten proamerikanisch, prowestlich, proukrainisch und antirussisch.
  7. So dürfte Moskau irren, wenn es glauben sollte, dass Donald Trump ein leichtes Gegenüber sein wird: Dieser wird auf Grund seines Egos und der Sorge um sein Image wohl keineswegs als jener Präsident in die Geschichte eingehen wollen, der die Ukraine einfach fallen gelassen hat.
  8. So zeigen zahlreiche Reportagen aus Russland, dass die durch den Buchstaben "Z" symbolisierte Kriegsbegeisterung der ersten Kriegsmonate total verschwunden ist, dass in der Bevölkerung die Propaganda einem dumpfen Frust Platz machen musste, weil der Krieg inzwischen primär mit Todesfällen und Verstümmelungen in der eigenen Umgebung in Zusammenhang gebracht wird, auch wenn niemand wagt, offen Kritik zu äußern.
  9. So sind nach Schätzungen westlicher Dienste im Krieg bereits mehr als 200.000 Russen gefallen und eine halbe Million verwundet worden; das ist gewaltig, da an der Front rund 700.000 stehen.
  10. So haben verlässlich klingende Analysen westlicher Dienste und russischer Oppositioneller ergeben, dass allein im letzten Oktober täglich 1500 Russen gefallen oder verletzt worden sind.
  11. So ist nach relativ verlässlichen Studien die Anti-Kriegs-Stimmung, die in der Unterstützung für einen russischen Rückzug ohne Erfüllung irgendwelcher "Kriegsziele" zusammenfassbar ist, schon bei etwa der Hälfte der Bevölkerung nachweisbar – vor allem bei jüngeren und weiblichen Russen.
  12. So spüren die russischen Bürger immer mehr die wirtschaftlichen Folgen des Krieges und der westlichen Sanktionen (die zwar unterlaufen werden können, aber nur zu wachsenden Kosten): Die offizielle Inflationsrate liegt bei 8 bis 9,5 Prozent, die Haushaltsausgaben sind sogar um 22 Prozent gestiegen, und die Zinssätze der Zentralbank liegen über 20 Prozent.
  13. So werden im kommenden Jahr die Steuersätze für Unternehmen wie Privatpersonen deutlich erhöht.
  14. So sind im Budget aus "Strafen" wegen noch gar nicht näher definierter Delikte Einnahmen von 3,5 Milliarden Dollar budgetiert.
  15. So will Russland laut Budget im nächsten Jahr seine Militär-Ausgaben um weitere 25 Prozent steigern, was wie in den vergangenen Jahren zu einer scheinbaren Steigerung des BIP führen dürfte.
  16. So verliert der Rubel sowohl gegenüber dem Dollar wie auch dem chinesischen Yuan ständig an Wert.
  17. So kann das wirtschaftliche Schwächeln Russlands etwa auch am Fracht-Volumen der Eisenbahn abgelesen werden: Das hat binnen eines Jahres um 9 Prozent abgenommen.
  18. So hat der Krieg in der Rüstungsindustrie für eine gewaltige Erhöhung des Personalbedarfs gesorgt – gleichzeitig hat der Krieg aber auch dafür gesorgt, dass es keine Arbeitskräfte auf dem Markt gibt, weil die Armee neue Freiwillige nur noch mit gewaltigen finanziellen Versprechungen findet, die ständig gesteigert werden müssen: Derzeit bekommt ein neuer Soldat schon das Fünffache im Vergleich zu jenen, die zu Kriegsbeginn der Armee beigetreten sind. Da werden zumindest für diesen Krieg angesichts der schon vor der Invasion niedrigen Geburtenrate auch die staatsoffiziellen Kampagnen, mehr Kinder in die Welt zu setzen, nichts helfen.
  19. So sind schon über 240 Morde bekannt geworden, die von Männern begangen wurden, die als Gegenleistung für die Beendigung einer früheren Haftstrafe der Armee beigetreten sind.
  20. So sind schon zwischen 650.000 und einer Million Russen aus dem Land geflüchtet; das wareb vor allem junge, besser gebildete und initiative Menschen.
  21. So ist die Bevölkerung Russlands durch Krieg, durch die Corona-Pandemie (die Krankheit hat in Russland relativ mehr Opfer gefordert als in den meisten anderen Ländern: der britische "Economist" schätzt die Zahl der an der Pandemie verstorbenen Russen auf 1,2 bis 1,6 Millionen), durch Alkoholmissbrauch (man erinnere sich an die recht erfolglosen Anti-Alkohol-Kampagnen des früheren Präsidenten Gorbatschow) und durch diesen Exodus in den letzten drei Jahren um rund zwei Millionen Menschen auf derzeit rund 144 Millionen gesunken. In den letzten 30 Jahren hat Russland vor allem durch seinen Geburtenunlust vier Millionen Einwohner verloren.
  22. So hat Russland besonders männliche Bürger verloren: 100 Männern über 18 Jahre stehen im Schnitt heute 121 Frauen gegenüber.
  23. So ist der Anteil der ethnischen Russen an dieser Gesamtbevölkerung von 78 auf 72 Prozent gefallen. Was ein zusätzliches Problem für den betont russischen Nationalismus des Wladimir Putin darstellt. Beobachter wären daher nicht überrascht, dass eine weitere Schwächung der Zentralmacht zu einem neuen Anlauf sezessionistischer Entwicklungen führen könnte, wie es einst schon in Tschetschenien zu großen Problemen geführt hat.

In Summe: Der Krieg, was auch immer an seinem Ende stehen wird, wie aber auch andere schwere Fehlentwicklungen haben Russland im Inneren so grundlegend verändert und ausgehölt, dass – trotz aller Bodenschätze – die Zukunft des Landes schwerst kaputt ist. Alleine die demographische Katastrophe wird das Land auf Jahrzehnte durchbeuteln.

Alles, was man zu Recht über den relativen Abstieg Europas vor allem gegenüber Süd- und Ostasien klagt, trifft auf Russland zu einem Vielfachen zu.

Nachträgliche Ergänzung: Nur wenige Stunden, nachdem dieser Text erschienen ist, passiert schon eine 24. und 25. Peinlichkeit. Die russische Luftabwehr hat offensichtlich über Kasachstan ein Zivilflugzeug der Aserbaidschan-Luftlinie abgeschossen. Gerade weil das nicht absichtlich geschehen ist, ist das – zehn Jahre nach dem Abschuss einer malaysischen Maschine auf dem Weg von Holland nach Südostasien – demaskierend für den Zustand der russischen Armee und doppelt peinlich, weil das zwei befreundete (oder von Moskau zur Freundschaft gezwungene) Länder betrifft. Und nicht nur hoch in dert Luft, sondern auch tief unter dem Meer ist die. Aggressivität des Putinismus aktiv: Ein im Dienste Russlands stehendes Schiff hat offensichtlich absichtlich ein Tiefsee-Stromkabel zwischen Finnland und Estland zerstört.