Zwölf Folgen des syrischen Tsunami
Wer glaubt zu wissen, in welche Zukunft Syrien jetzt treibt, ist ein Scharlatan. Viel eindeutiger sind hingegen die Folgen und Erkenntnisse des Sturzes der Langzeit-Diktatorenfamilie Assad für etliche andere Konfliktzonen. Auch für Europa sind die Erkenntnisse eindeutig, die hoffentlich auch in allen Hauptstädten begriffen werden. Jedenfalls trauert kaum jemand um den blutrünstigen Tyrannen Baschar al-Assad, dessen Ende schließlich so rasch gekommen ist wie das des libyschen Herrschers Muammar a-Gadhafi oder des irakischen Diktators Saddam Hussein.
Ist das eine ganz absurde Hoffnung? Nun, Tatsache ist, dass der Islam zwar – vergleichbar nur mit dem Kommunismus – auf seiner ganzen Ausbreitungsgeschichte eine breite blutige Spur der Eroberung und Unterdrückung gezogen hat. Es gibt aber Länder wie etwa Saudi-Arabien oder die Golfstaaten, wo sich die Dinge für die Menschen trotz weiterhin totaler islamischer Orientierung Schritt für Schritt in eine menschlichere Richtung entwickelt haben. In den ärmeren Staaten des sunnitischen Nahen Ostens sind allerdings keinerlei Fortschritte zu verzeichnen. Und Syrien ist arm.
Dennoch lebt die Hoffnung. Immerhin haben die neuen Machthaber in ihren ersten Äußerungen recht vernünftig geklungen. Da war nichts dabei, was auf die unmittelbare Einkehr mittelalterlicher Barbarei schließen lässt. Und immerhin arbeiten sie nach der Flucht des Diktators offenbar harmonisch mit dessen verbliebenem Premierminister zusammen, um einen möglichst geordneten Übergang zu sichern.
Für den Rest der Welt sind vorerst folgende Erkenntnisse zu ziehen:
- Bedrohlich wird die Lage zweifellos für die Kurden, die im Nordosten Syriens und im Irak mit amerikanischer Hilfe eine große Region unter Kontrolle und in relative Stabilität und Humanität gebracht haben, die aber immer auch mit Diktator Assad gut gestanden sind. Selbst wenn die neuen Machthaber in Damaskus primär andere Sorgen und Intentionen haben sollten, als weiterhin gegen die Kurden vorzugehen, so scheint jedenfalls der türkische Hass auf die Kurden jetzt freie Bahn zu haben.
- Besonders negativ könnten die Beispielsfolgen aus Syrien auch für andere islamische Länder ähnlicher Struktur sein, also für Länder mit Reichtum an Menschen und Armut an wirtschaftlichen Schätzen: Von Ägypten bis Algerien ist es nur durch Errichtung einer Militärdiktatur gelungen, den islamistischen Tsunami der armen Massen zu stoppen. Man kann nun durchaus annehmen, dass die Ereignisse in Syrien auch dort wieder als Ermutigung islamistischer Kräfte verstanden werden.
- Freilich gibt es kein Land, in dem so unmittelbar ein starker Nachbar hineinagieren kann, wie Syrien, wo die Türkei nicht nur die nunmehrigen Sieger jahrelang unterstützt, sondern auch große syrische Landstriche besetzt hat.
- Am positivsten ist zweifellos, dass mit der Entscheidung im syrischen Bürgerkrieg drei üble und gefährliche Kräfte, die auf der anderen Seite Assad unterstützt hatten, einen starken Dämpfer erlitten haben: Das sind die Hisbollah, der Iran und das sich in Syrien festgesetzt habende Russland.
- Nach der Niederlage Assads kann vor allem Israel hoffen. Denn wenn die im Libanon operierende Hisbollah keinen Nachschub aus Iran über Syrien mehr erhalten kann, dann gibt es ganz gute Hoffnung, dass der jüngste libanesische Friedensschluss und die weitgehende Zurückdrängung der Hisbollah von Dauerwirkung sein können. Damit kann Israel nach der weitgehenden Ausschaltung der Hamas und nach der Einschüchterung des Iran einer helleren Zukunft entgegenblicken – wenn man vom tragischen Schicksal der Geiseln absieht.
- Ebenso wie die syrischen Ereignisse die Islamisten in anderen Ländern ermutigen könnten, könnte dasselbe aber auch – unter umgekehrten Vorzeichen – im Iran in Hinblick auf den immer wieder rebellierenden Mittelstand eintreten. Die Mullahs haben jedenfalls nach den Schlägen aus Israel durch die Schlappe ihrer nach Syrien entsandten Hilfstruppen eine weitere schwere Niederlage erlitten, was ihnen viel ihres Nimbus nimmt.
- Allerdings zeigt Syrien auch, dass es dort nicht demonstrierende Massen gewesen sind, die das Regime gestürzt haben, sondern dass es eine – oder sogar mehrere – bewaffnete Milizen gewesen sind. Solche dürfte es im Iran eher nicht geben. Allerdings sind dort genug junge Männer für die Rolle als Freiheitskämpfer zu finden, wenn etwa Israel oder die USA auch die dabei benötigten Waffen bereitstellen sollten.
- Am aufschlussreichsten sind die Vorgänge in Syrien aber in Hinblick auf Russland. Dieses war ganz offensichtlich nicht mehr imstande und bereit, das Assad-Regime zu stützen, obwohl dadurch Russlands einziger Mittelmeerstützpunkt bedroht ist. Das lässt darauf schließen, wie sehr der Ukraine-Krieg die russische Militärmacht angespannt hat, aber auch wie sehr die westlichen Sanktionen dem Putin-Regime bereits geschadet haben.
- Das heißt aber nicht unbedingt Gutes für die Ukraine. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass Machthaber Putin jetzt alle verbliebenen russischen Kräfte auf einen Sieg in der Ukraine konzentrieren will.
- Entscheidend für die Zukunft Syriens und des gesamten Raums wird jetzt zweifellos sein, ob es Israel und den USA gelingt, mit den neuen Machthabern konstruktive Arrangements zu finden, die sowohl ihnen wie auch den Kurden Sicherheit versprechen. Die Stunde wäre günstig für solche Versuche, da sowohl Russland wie auch Iran wie auch die Hisbollah vorerst keine Chance haben dürften, mit den bisherigen Kriegsgegnern gleich wieder gut Freund zu werden. Wird in Washington – noch dazu in Tagen eines totalen Machtübergangs – diese Chance auch erkannt? Kann das innerlich so tief wie noch nie gespaltene Israel ausgerechnet jetzt kühne Schritte unternehmen?
- Noch wichtiger wird es für Europa sein, die richtigen Schlüsse aus der syrischen Wende zu ziehen. Europa ist zwar zu schwach, um dort entscheidende Weichen stellen zu können. Aber Europa könnte und müsste jetzt umgehend eines seiner dringendsten Probleme lösen: Es müsste jetzt die Millionen syrischen Flüchtlinge umgehend wieder nach Syrien abschieben (was man mit Wiederaufbauhilfe für das Land verbinden könnte). Die Bürger und Regierungen Europas müssten dazu auch auf Konventionsebene umgehend handeln, um jene amoklaufenden Richter zu stoppen, die der weltfremden Meinung sind, wer einmal in Europa aus irgendeinem Grund Asyl oder ein Bleiberecht erhalten hat, dürfe nie wieder aus Europa angeschoben werden, auch wenn der Grund wegfällt. Wie berechtigt die Massenabschiebungen wären, haben die Massendemonstrationen Zehntausender in Wien zur Bejubelung des Islamismus-Sieges gezeigt. Wie notwendig Massenabschiebungen gerade aus Österreich wären, hat die Aussage der islamischen Imamin Ates gezeigt, dass Österreich ein Hotspot der Islamisten wäre.
- Die ganze Welt muss wieder einmal erkennen, dass noch immer der Sieg im Krieg entscheidet, und dass keine rechtliche oder globale Institution vorhanden ist, die auch nur auf dem Papier mit irgendeiner Relevanz sagen könnte, was der richtige, der legale Weg eines Landes wäre.
Der Krieg, der Sieg in einem Krieg ist der Vater vieler Dinge, die oft nicht gut voraussehbar sind, bei denen es oft erst in den Stunden nach Kriegsende darauf ankommt, ob kluge Staatsmänner am Werk sind. Das erinnert an eine andere historische Wendestunde: So wie die Zertrümmerung des Nazi-Regimes durch kluge Entscheidungen (vor allem in Paris und Bonn) für Westeuropa die besten Jahrzehnte seiner Geschichte gebracht hat, brachen zum gleichen Zeitpunkt für Osteuropa ohne eigenes Verschulden durch eine schwere Fehlkalkulation in Washington vier – weitere – katastrophale Jahrzehnte an.