Die Bewährungsprobe für Herbert Kickl
Es mutet fast schon unheimlich an, dass schon wieder Wünsche in Erfüllung gehen, die das Tagebuch ans neue Jahr gerichtet hat. Dass ein Parteichef abtritt, dass die Zweier-Koalitionsverhandlungen mit Andreas Babler, die ich gestern hier als Harakiri bezeichnet habe, noch weit schneller geplatzt sind als die Verhandlungen zu dritt. Schon seit dem letzten Frühjahr war hier immer wieder zu lesen, dass es der größte Fehler des anständigen, aber politisch schwer überforderten Karl Nehammer gewesen ist, ständig eine Kooperation mit der FPÖ des Herbert Kickl auszuschließen. Das hat ihm zuerst ein fürchterliches Wahlergebnis eingebracht und jetzt den weiteren Abstieg und den Verlust aller politischen Ämter. Trotzdem wird es vorerst – vorerst! – zu dem von vielen ersehnten (und vom ORF panisch befürchteten) Einstieg von Sebastian Kurz noch nicht kommen. Er wartet ab, ob es zu Neuwahlen kommt und würde erst dann wieder in die Politik einsteigen. Hingegen hat jetzt ein anderes ebenfalls oft und leider nur im Tagebuch aufgestelltes Verlangen dramatisch an Realisierungs-Wahrscheinlichkeit gewonnen.
Diese Perspektive auf ein ganz neuartiges Dreierbündnis öffnet sich nicht nur durch den nun erfreulich schnell vollzogenen Abbruch der Gespräche zwischen Schwarz und Rot, sondern auch durch eine sehr kluge Stellungnahme der Neos-Chefin Meinl-Reisinger, in der sie auffällig positiv von der staatspolitischen Verantwortung der Freiheitlichen gesprochen und auf die sonst üblichen Attacken auf die FPÖ völlig verzichtet hat.
Da klang schon Karl Nehammer deutlich negativer zur FPÖ, der unter Zitierung seines Vaters völlig überflüssigerweise die "Radikalen" in der Politik attackiert hat (es erinnert irgendwie an Thomas Schmid, wenn man in Stunden der Not plötzlich Sprüche der eigenen Eltern zitiert …). Gewiss ist Nehammer seit einigen Stunden politisch irrelevant. Gewiss ist "radikal" ein nicht so bösartiges Wort wie das von Rot und Grün ständig taxfrei, wenn auch beweisfrei verwendete Vokabel "rechtsextremistisch" für die FPÖ. Gewiss gab es auch der ÖVP sehr nahestehende Politiker wie etwa den Bayern Franz Josef Strauß, der immer wieder ein sehr radikales Vokabular bei einer gleichzeitig sehr verantwortungsbewussten Politik praktizierte. Gewiss ist objektiverweise unter "radikal" mindestens ebenso wie die FPÖ auch die Babler-SPÖ zu verstehen.
Seine Radikalität konnte man auch an der Abschiedserklärung des SPÖ-Vorsitzenden ablesen: Er hat darin klare Lügen ausgestoßen, wie etwa, dass die ÖVP "Kürzungen" bei Pensionisten, Lehrern und Polizisten verlangt hätte – während die ÖVP in Wahrheit nur bei den nächsten Erhöhungen(!) einen Prozentsatz vereinbaren wollte, der um einen Prozentpunkt unter der Inflationsrate liegt.
Das ist eindeutig etwas anderes als Kürzungen. Und das ist angesichts der Arbeitsplatzsicherheit im öffentlichen Dienst, die im totalen Kontrast zu den rezessionsbedingten Job-Ängsten bei den angeblich von der SPÖ vertretenen Industriearbeitern steht, und angesichts der zu üppigen Erhöhungen der letzten Jahre alles andere als unzumutbar. Ebenso infam hat Babler die bilanztechnischen "Gewinne" der Banken als Selbstbedienungskasse für seine Ausgabenwünsche hingestellt, denen aber in Wahrheit in anderen Jahren oft auch Verluste gegenübergestanden sind, und die überhaupt nichts mit an die Aktionäre ausgeschütteten Dividenden zu tun haben.
Nein, deutlicher als Babler mit dieser Erklärung selber kann man die völlige Unmöglichkeit, mit ihm eine seriöse Regierungs- und Wirtschaftspolitik zu führen, gar nicht vermitteln. Die plötzlichen Schalmeienklänge der SPÖ für Nehammer erinnern heftig an ganz ähnlich peinliche Töne der Genossen, nachdem einst Reinhold Mitterlehner gescheitert ist. Das ist nur noch lächerlich, wenn für die SPÖ immer bloß ein (politisch) toter Schwarzer ein guter Schwarzer ist.
Nach dem Offenbarungseid für den schwarzen und roten Parteiobmann (wo es bei letzterem wohl nur noch eine Zeitfrage sein kann, wie lange er noch in dieser Funktion bleibt) muss jetzt der blaue zeigen, wie sehr er staatspolitische Verantwortung auszuüben imstande ist. Denn eines ist wohl klar: Jenseits alles Neuwahl-Geredes ist jetzt zuerst eine Regierung unter freiheitlicher Führung Toppriorität Nummer eins.
Entgegen dem rot-grün-medialen Gerede droht da weder eine Abschaffung der Demokratie oder des Rechtsstaates noch eine sonstige Entwicklung, die man irgendwie als extremistisch bezeichnen kann. Ich kenne keine einzige nazi-freundliche oder antisemitische Äußerung Kickls. Statt dessen kann man sich von einer FP-geführten Regierung viele positive Aspekte von einer Infragestellung der ORF-Zwangsgebühren, des Genderns, der Trans- und Schwulenideologie sowie der üppigen Förderung besuchervertreibender Kulturinstitutionen und linker NGOs bis hin zu mehr direkter Demokratie, einer größeren Meinungsfreiheit und einer konsequenten Migrationspolitik erhoffen.
Dennoch muss die FPÖ auf etlichen anderen Feldern noch den Beweis abliefern, dass sie wirklich imstande ist, dieses Land verantwortungsbewusst zu führen und mitzuregieren. Das wird sich in den nächsten Tagen und Wochen an folgenden zehn Fragen zeigen:
- Ist sie mehr als die SPÖ bereit, Verantwortung für die finanzpolitische Sanierung des Staates mit zu übernehmen, gleichgültig, ob deren Notwendigkeit nun primär Folge einer historischen Rezession ist oder von Fehlern der Europäischen Zentralbank, der Green Deals von EU und Deutschland, der von der EU beschlossenen Überregulierungen, der internationalen Energiesituation, des Krieges oder von Fehlern der Vorgänger-Regierung (die diese durch zu üppige Abschlüsse im öffentlichen Dienst und das "was auch immer es kostet" in der Corona-Zeit eindeutig begangen hat)?
- Ist sie insbesondere bereit zu der dringend notwendigen, wenn auch erst mittelfristig wirksamen Pensionsantrittsalters-Reform?
- Ist sie bereit, eine klar prowestliche Politik Österreichs fortzusetzen (was ihr ja gerade bei einem US-Präsidenten Trump und einem Ende der linken Ampel in Berlin leichter fallen müsste)?
- Ist sie bereit, Österreich ein stärkeres Bundesheer und insbesondere einen Raketenschutzschirm zu ermöglichen?
- Ist sie bereit, auf jedes Signal einer Unterstützung für Moskau zu verzichten, solange dieses einen Angriffskrieg führt?
- Ist sie bereit, an der EU-Mitgliedschaft festzuhalten?
- Ist sie bereit, in der Gesundheitspolitik den Ratschlägen der ganz großen Mehrheit der Ärzte und medizinischen Wissenschaft zu folgen?
- Wie will sie mit der Perspektive umgehen, dass es in den nächsten Monaten eine Anklageerhebung gegen Herbert Kickl wegen genau des gleichen Delikts wie gegen Sebastian Kurz geben dürfte, hat sie doch selber in haargenau der gleichen Situation noch vehement den Rücktritt von Kurz verlangt?
- Hat sie erkannt, wie viel sinnvoller regiert werden kann, wenn man die Neos mit hineinnimmt, die ein ganz ähnliches Wirtschaftsprogramm wie Blau und Schwarz haben, weil dann bei wichtigen Reformen durch eine Zweidrittelmehrheit die Obstruktion des Verfassungsgerichtshofs ausgeschaltet werden kann?
- Und ist sie darauf eingestellt, dass ihre Umfragewerte unweigerlich ab dem ersten Tag im Amt sinken werden, weil sie ja bisher eindeutig viele Proteststimmen gesammelt hat, die einer Regierungspartei sofort verloren gehen?
Schafft es die FPÖ nicht, auf diese Fragen konkret und positiv zu antworten, dann kann es für niemanden Sinn machen, mit ihr zu koalieren, dann wird wohl kein Weg an Neuwahlen vorbeiführen – es sei denn, die SPÖ schafft noch rechtzeitig einen sehr raschen Wechsel zu einer verantwortungsbewussten Führung.
PS: Wenn manche naive Kommentatoren meinen, nun würde der Bundespräsident eine Rolle spielen, dann kann man nur lachen. Denn dieser wird außer ein paar mehr oder weniger salbungsvollen Reden zu halten nur eines tun können: jenen Politiker als Bundeskanzler anzugeloben, der auf Unterstützung von mindestens 92 Mandataren im Nationalrat zählen kann. Er ist einfach nicht mehr als ein überbezahlter Notar und Trauerredner.