So wird es wohl nicht gehen
Die erste längere Stellungnahme von Herbert Kickl als eventueller neuer Bundeskanzler war enttäuschend. Die Wahrscheinlichkeit ist dadurch dramatisch gewachsen, dass wir in ein paar Monaten Neuwahlen haben. Bei diesen könnte zwar Kickls FPÖ nach dem jetzigen, freilich sehr volatilen Umfragestand noch ein paar Prozentpunkte dazugewinnen – aber sie wird nachher erst recht ohne Partner dastehen, wenn sie jetzt auch die derzeit tonangebenden Koalitionswilligen in der Volkspartei verprellt. In einer halbstündigen Stellungnahme Herbert Kickls (auch bei ihm ist es unerfreulicher Weise außer Mode gekommen, dass ihm Fragen gestellt werden dürfen …) gab es allzu viele Provokationen für den eingeladenen Koalitionspartner im Stile einer Wahlkampfrede und es fehlten zwei Schlüsselworte, die die grundlegende Basis jeder Koalitionsbildung bilden müssen.
Beides fehlt im Vokabular, aber auch im Denken des Herbert Kickl. Er klingt zumindest vorerst vielmehr wie einer, der gerade die absolute Mehrheit errungen hat. Aber das hat er nicht.
Wenn er hingegen von einem erhofften Koalitionspartner zuerst eine "Evidenz" für das "Bewusstsein" verlangt, "wer Zweiter geworden ist", dann hat er nicht begriffen, dass noch kein Koalitionspartner in der Geschichte die Zumutung ertragen musste, dass es sich vor dem anderen in den Staub zu werfen hat.
Wenn er sich rühmt, "nicht nachtragend" zu sein, "nicht zurückblicken" zu wollen, aber gleichzeitig verlangt, dass die ÖVP "einen Teil der Verantwortung trägt für das Desaster", dann ist das ein offener Widerspruch. Dann führt er schon wieder – oder noch immer Wahlkampf. Damit löst er zwar Jubel seiner Anhänger aus – aber wirklich nur dieser.
Wobei im Übrigen auch unklar ist, was das "Verantwortung tragen" überhaupt heißen soll. Sollen etwa alle, die ÖVP gewählt haben, künftig höhere Steuern zahlen oder im Büßerhemd herumgehen müssen? Oder will er – als nachträglichen Beweis, dass sich die Extreme ja doch berühren, – jetzt über die Hintertür all die wirtschaftsfeindlichen Forderungen eines Andreas Babler realisieren, weil er die ÖVP für die Partei der Wirtschaft hält (obwohl genauso viele Unternehmer und Selbständige FPÖ wie ÖVP gewählt haben)? Oder will er eine Debatte über die Ursachen der Staatsschulden führen?
Das wäre langwierig und gar nicht so eindeutig: Denn einerseits hat die ÖVP ja eindeutig 25 Jahre den Finanzminister gestellt, sie ist aber in dieser Zeit andererseits ständig unter Druck eines Koalitionspartners und der ganzen Opposition (also auch immer der FPÖ, in welcher Rolle immer) gestanden, die nachweislich bis auf die Neos noch viel mehr Staatsausgaben verlangt haben. In einer Verantwortungsdiskussion wird die ÖVP daher naturgemäß ausführlich darauf und auf all die Krisen der letzten Jahre verweisen (Corona, Inflation, Energie, Krieg, Rezession), die alle weitgehend außerhalb ihres Verantwortungsbereiches gelegen sind, und die zweifellos neben der Ausgabensucht ALLER Parteien (zweifellos auch ihrer eigenen) die größten Verschuldungstreiber gewesen sind.
Keine gute Basis einer Zusammenarbeit ist es auch, wenn man dem einzig möglichen Koalitionspartner schon vor Verhandlungsbeginn öffentlich Neuwahlen androht, falls dieser nicht spurt, wie verlangt.
Ebenso unzumutbar ist es, von einem Koalitionspartner "konstante" Ansprechpartner zu verlangen. Denn niemand kann einer anderen Partei verbieten, eventuell eines Tages den Parteiobmann oder einen Minister auszutauschen. Diese Forderung ist genauso untragbar, wie es das ungehörige Verlangen Nehammers gewesen ist, dass die FPÖ ihren Chef austauscht. Oder wie es die erst jetzt erhobene FPÖ-Bedingung ist, dass Alexander Schallenberg der nächsten Regierung nicht mehr angehört.
- Gewiss kann die FPÖ derzeit von einem weit besseren Finanzpolster aus als die anderen Parteien und mit der nun viel höheren Parteienförderung im Rücken in diese Neuwahlen gehen.
- Gewiss darf man es nicht vergessen, dass die ÖVP unter Sebastian Kurz 2019 den fatalen Fehler begangen hat, auf den Rücktritt von Innenminister Kickl zu bestehen – aber andererseits war es danach die ganze FPÖ, die wegen dieses Njets zu einer Person (und nicht wegen der Ibiza-Affäre als solcher!) gesagt hat, dass sie deshalb die Regierung verlässt.
- Gewiss hat die ÖVP nach der Kernspaltung der FPÖ 2002 ganz auf das BZÖ Jörg Haiders gesetzt und die Original-FPÖ vollkommen ignoriert – aber primär ist es damals eindeutig Haider gewesen, der die Strache-Kickl-Rest-FPÖ als Haufen Unberührbarer behandelt hat – und vom Koalitionspartner so behandeln hat lassen).
Unter dem Eindruck dieser ersten Kickl-Rede muss man jedenfalls wieder viel pessimistischer in die Zukunft blicken. Man beginnt schon wieder zarte Hoffnungen auf eine Renaissance der ÖVP nach dem von Nehammer und seiner Brandmauerei angerichteten Scherbenhaufen zu richten – und auch auf die SPÖ, ob dort vielleicht doch die Ära Babler jetzt viel schneller als erwartet zu Ende geht, nachdem dieser noch schlimmer als alle anderen Politiker darin versagt hat, irgendeiner staatspolitischen Verantwortung nachzukommen.
Es ist Jedenfalls überhaupt nicht gesagt, dass ein demokratisches Land früher oder später eine handlungsfähige Regierung bekommen muss. Man denke an die seit Jahren anhaltende Krise Bulgariens mit ihrem bunten Wechsel provisorischer Regierungen ohne Mehrheit und mit häufigen Neuwahlen. Man denke an die italienischen Jahrzehnte im vorigen Jahrhundert mit jährlich mindestens zwei Regierungschef-Wechseln und ununterbrochenen Regierungskrisen, die erst durch das Staatsmänner-Trio Meloni-Berlusconi-Salvini stabilisiert worden sind (wer hätte gedacht, dass man als Österreicher eines Tages unter allen Nachbarländern neben der Schweiz vor allem auf Italien neidvoll blicken muss).
Dennoch darf man bei Kickl noch nicht die Hoffnung aufgeben. Irgendwie wäre es ja auch verständlich, dass er noch einmal Dampf ablassen wollte, bevor er sich als Staatsmann versucht. Immerhin sind bei ihm auch gute und richtige Ansätze zu hören gewesen. So hat er zu Recht gesagt, dass die Verhandlungen zuerst in ganz kleinem Rahmen geführt werden müssen, um eine gute Basis zu bauen. So hat er zu Recht gesagt, dass es volle Verschwiegenheit geben solle. So hat er zu Recht eingeräumt, dass die Rückkehr auf die von ihm versprochene "Erfolgsspur" nun doch ihre Zeit brauchen wird. So hat er von einem "Schuldenflächenbrand" gesprochen, was jedenfalls zeigt, dass er ein zentrales Problem der Republik erkannt hat, das bisher ja nicht im Zentrum der freiheitlichen Aufmerksamkeit gestanden ist.
Das wären immerhin Ansätze. Dennoch ist klar: Kickl schon einen Teil des Goodwills seines Wahlerfolgs zu verspielen begonnen.