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Es ist so schade – sechs Lehren aus dem Verhandlungs-Chaos

Es ist so schade – sechs Lehren aus dem Verhandlungs-Chaos

Es ist traurig und schade, was jetzt alles nicht an guten Reformen in Österreich passieren wird. Gesellschafts-, wirtschafts-, migrations- und sozialpolitisch. Die gescheiterten blau-schwarzen Verhandlungen waren eine historische Chance, die jetzt wohl auf lange nicht mehr wiederkommen wird. Zwar ist die Frage nach der Schuld am Scheitern ziemlich eindeutig zu beantworten. Das ist aber noch keine Antwort darauf, wie dieses Land jetzt in eine gute Richtung gehen kann. Wahrscheinlich wird das erst dann möglich sein, wenn alle drei (mittel-)großen Parteien den Mann an ihrer Spitze austauschen und wenn sie alle drei die sechs wichtigsten Lehren aus dem Desaster begreifen. Danach sieht es aber derzeit nirgendwo aus, selbst wenn auch parteiintern überall die Unzufriedenheit im Wachsen ist. Statt dessen droht jetzt noch eine ganz andere Gefahr.

Zuerst die Bilanz und Verschuldensrechnung der 140 Tage:

  • Die Dreierverhandlungen sind eindeutig an SPÖ-Chef Andreas Babler gescheitert, an seinem doktrinären und ideologischen Hass auf "Konzerne und Banken", also auf die zentralen Grundlagen von Wirtschaft und Wohlstand, und an seinem klassenkampfartigen Unwillen zu irgendwelchen strukturellen Reformen und Sparmaßnahmen.
  • Die nachfolgenden Zweierverhandlungen sind an der mangelnden Professionalität der Herren Kickl und Stocker gescheitert. Die beiden haben detaillierte Verhandlungen begonnen, ohne dass zentrale Fragen wie die Minister-Aufteilung angesprochen, geschweige denn geklärt gewesen wären. Genau das war bei erfolgreichen früheren Regierungsbildungen meist a priori geklärt gewesen.

Erst nach einem Monat haben Blau und Schwarz jetzt dieses Defizit entdeckt und nun doch über Ministerien zu diskutieren begonnen. Wer auch immer intern bei den Verhandlungen damit begonnen hat, hinter den Polstertüren die Ressortverteilung anzusprechen – Tatsache ist: Als erster ist Herbert Kickl mit einer konkreten Forderung in die Öffentlichkeit gegangen, nämlich jener nach Besetzung von Finanz- und Innenministerium durch die FPÖ. Das ist zwar als politischer Wunsch natürlich legitim, auch wenn man es in der ÖVP nicht so gesehen hat. Aber die Tatsache, dass Kickl damit als erster in die Öffentlichkeit gegangen ist, stand im frontalen Gegensatz zur Vereinbarung, vertraulich zu verhandeln und sich nicht über die Medien ultimative Forderungen zu stellen.

Dennoch hatte Kickl mit seiner Regelverletzung Erfolg – zumindest parteitaktisch. Denn Christian Stocker ist ihm in die Falle gegangen und hat seither ebenfalls öffentlich über die Ministerverteilung geredet, insbesondere über das Innenministerium, statt bei den inhaltlichen Fragen zu bleiben, mit denen man einmal angefangen hat. Letztlich sind ja in der Tat die inhaltlichen Fragen auch die einzig wichtigen für die Menschen und für Österreich. Ihnen ist egal, welche Partei den Innenminister besetzt. So wichtig diese Frage für die Parteien auch ist und deshalb vorweg vom Tisch geräumt sein sollte.

Stocker ist aber mitten in den Verhandlungen, in denen so viele Sachfragen ungelöst steckengeblieben sind, auf die von Kickl eröffnete öffentliche Diskussion über Ministerverteilungen eingegangen, statt festzuhalten: Inhaltlich kommen wir leider nicht zusammen. Damit ist er Kickl in die Falle gegangen. Damit hat Stocker geradezu tollpatschig den folgenden FPÖ-Spin ermöglicht, der ÖVP ginge es eh immer nur um Posten. Damit ist es der FPÖ gelungen, von ihren für die ÖVP, aber auch eine klare Mehrheit der Österreicher und des Parlaments inakzeptablen inhaltlichen Forderungen abzulenken, und die ÖVP als postengierig darzustellen.

Bei diesen inakzeptablen Positionen geht es vor allem um die außen- und sicherheitspolitische Ausrichtung Österreichs. Nach Ansicht der ÖVP, aber auch einer klaren Bevölkerungsmehrheit soll Österreich seine Freunde und Kooperationspartner primär im Westen, in der EU suchen, soll politisch klar an der Seite der Ukraine und Israels stehen, soll auf eine starke Landesverteidigung setzen, während bei der FPÖ die Nähe zu Russland und das Wiederauftauchen antisemitischer Akzente unüberhörbar geworden sind.

Eine Regierungsbildung darf nur an wirklich wichtigen Fragen scheitern. Wäre Kickl ähnlich wie die ebenfalls von ganz rechts kommende Italienerin Meloni eindeutig prowestlich und antirussisch, hätte die ÖVP ihm im Übrigen ruhig das Innenministerium überlassen können.

Dazu kommt das blanke freiheitliche Unverständnis in Hinblick auf die gesamte Rechtsordnung, wo seit dem EU-Beitritt die Urteile des EU-Gerichtshofs über der nationalen Judikatur stehen. Dieses juristische Faktum kann man bedauern, das muss man bei etlichen EuGH-Entscheidungen inhaltlich sogar eindeutig kritisieren. Aber das nicht zu wissen, zeugt von einer blanken Ahnungslosigkeit von den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, zu denen eben auch das EU-Recht gehört. Das kann man nur dann kippen, wenn man gleichzeitig auch aus der EU austritt. Das hätte man spätesten rund um das EU-Verhältnis zu Großbritannien und der Schweiz lernen können.

Man kann – und soll – auf europäischer Ebene auch auf die Änderung (oder die "authentische Interpretation") von Konventionen und Verträgen drängen (etwa zu den Stichwörtern  Familienzusammenführung und Pushbacks) und sich dafür international Verbündete suchen. Das gelingt aber nicht, wenn man die Verträge kurzerhand bricht und glaubt, man kommt ungestraft davon. Das gelingt aber nicht, wenn man sich in jeder Frage als Putin-Freund zeigt. Das gelingt schon gar nicht, wenn man Forderungen stellt, die einen Austritt aus der EU bedeuten, der Hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet.

Dazu kommen unverständliche und überflüssige Provokationen wie etwa die freiheitlichen Attacken auf die Kirchen und die Wirtschaftskammer.

Da man in den zuvor genannten zentralen Punkten nicht zusammengekommen ist, kommt auch sehr viel Positives auf anderen Feldern nicht zustande: etwa die Rückkehr des Leistungsprinzips ins Bildungssystem, etwa eine grundsätzlich wirtschaftsfreundliche Haltung im Gegensatz zu den grünen Attacken einer Frau Gewessler, etwa eine totale ORF-Reform, etwa die Zurückdrängung des Gender-, Schwulen- und Transterrors, etwa eine substanzielle Bekämpfung der Migration (soweit das Österreich alleine tun kann), etwa ein Hinterfragen von Steuergeldverteilung an dubiose NGOs.

Es gibt jetzt viele Möglichkeiten, wie es weitergeht. Alle haben etwas für und gegen sich – nur eine einzige Perspektive wäre katastrophal für Österreich: Das wäre ein freies Spiel der parlamentarischen Kräfte. Das würde vor allem die Gefahr schaffen, dass Rot und Blau gemeinsam tiefe populistische Griffe in die Staatskasse machen, um Wahlzuckerl unters Volk zu schleudern. Das haben sie ja schon zweimal nach Platzen von Regierungskoalitionen und vor den dadurch ausgelösten Neuwahlen gemacht. Insbesondere Werner Faymann hat sich da unheilvoll betätigt. Sollte sich das wiederholen, wäre es angesichts der ohnedies explodierenden und die Staatsstabilität längst gefährlich bedrohenden Staatsverschuldung verheerend.

Die SPÖ hat aber jedenfalls schon in ihren ersten Statements angedeutet, dass sie in genau diese Richtung gehen will. Und sie scheint auch nicht willens, auf ihren Parteichef zu verzichten, auch wenn der Wiener Bürgermeister noch so viele Andeutungen in diese Richtung macht.

Was man aus dem Chaos der letzten Monate lernen sollte – aber eher nicht gelernt hat:

  1. Alle Parteien, insbesondere die SPÖ, sollten aus der Geschichte lernen, dass man sich an Wahlzuckerln leicht selbst vergiften kann.
  2. Alle Parteien, insbesondere die ÖVP, sollten lernen, dass es der größtmögliche politische Unsinn ist, von einer anderen Partei zu verlangen, deren Parteichef auszutauschen. Das kann man sich höchstens insgeheim wünschen.
  3. Ebenso sollten alle Parteien, insbesondere die ÖVP, lernen, dass man das öffentliche Match verloren hat, sobald einen die Gegenseite als Postenhamsterer hinstellen kann.
  4. Ebenso sollten alle Parteien, insbesondere die ÖVP, lernen, dass man möglichst nie in Wahlen gehen sollte, vor denen man bestimmte andere Parteien als Partner ausgeschlossen hat. Selbst wenn man gute Gründe dafür hat, schadet das schon bei der Wahl, weil die Wähler das zu Recht nicht mögen.
  5. Ebenso sollten alle Parteien, insbesondere die FPÖ, endlich lernen, dass man nur dann verhandeln kann, wenn man den Partner auf Augenhöhe behandelt und ihn nicht zu demütigen versucht, dass verhandeln heißt, den Wahlkampfmodus auszuschalten, auch wenn dieser in vielen Oppositionsjahren zum zweiten Ich geworden sein sollte.
  6. Ebenso sollten alle Parteien lernen, dass man nur dann erfolgreiche Verhandlungen führen kann, wenn die Chefs vor(!!) deren Beginn in Vieraugengesprächen alle schwierigen Punkte, also einschließlich der Postenaufteilungen, geklärt haben, sodass dann in den Verhandlungen selbst im Rahmen der so festgelegten Bedingungen zügig die Details geklärt werden. Wenn das nicht vorher gelingt, dann braucht man in Wahrheit gar nicht erst zu verhandeln beginnen. Eine solche Vorab-Klärung kann aber nur dann gelingen, wenn Personen mit staatsmännischem Zuschnitt an der Spitze stehen, die die Knackpunkte von vornherein erkennen, die auch einschätzen können, was der Gegenseite zumutbar ist. Der umgekehrte Weg – der leider zuletzt zum österreichischen Weg geworden ist – ist grundfalsch, sich zuerst mit tausend unbedeutenden Kleinigkeiten zu befassen, bevor man das Schwierige angeht. Das weiß auch jeder kluge Schüler, der seine für Hausübungen investierte Zeit optimieren will. Ein kluger halt …

PS: Noch eine aufschlussreiche Beobachtung zu Kickls neuem Werbesujet, dass er "Österreich immer treu" sei. Bei seiner Pressekonferenz hat er aber ständig von einer ganz anderen Form der Treue gesprochen: Er wolle sich selbst nicht untreu werden. Was nun? Ist Kickl sich selbst treu oder Österreich? Oder setzt er sich gar mit Österreich ident? Ist das nicht ein bisschen größenwahnsinnig? Aber im Grund ist das Kickls ständige Linie: "Unsere Positionen sind die Positionen der Wähler" – also nicht nur "unserer" Wähler, nicht nur der 29 Prozent FPÖ-Wähler, sondern aller Wähler. Damit unterschiebt er etwa seine Putin-Liebe oder seine Rechtsstaat-Verachtung oder Kirchenfeindlichkeit gleich allen Wählern, ohne dass sich diese wehren können. Damit macht er Kompromisse eigentlich unmöglich. Bescheidenheit zählt nicht zu den größten Tugenden des kleinen Mannes aus Kärnten.