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Verstehen Sie Donald Trump? – Eine Antwort auf elf Ebenen

Verstehen Sie Donald Trump? – Eine Antwort auf elf Ebenen

Das ist die Frage, die einem in diesen Tagen am häufigsten gestellt wird. Donald Trumps wildes Hakenschlagen macht viele Menschen verwirrt, unsicher und fassungslos. Das reicht von den täglich eskalierenden Verkündigungen höherer Zölle gegen dieses oder jenes Land bis zum häufigen Seitenwechsel im Ukraine-Krieg. In der Folge seien die wichtigsten Versuche einer Erklärung Trumps analysiert. Diese Annäherung muss auf elf verschiedenen Erklärungsebenen erfolgen.

Die einzelnen Ebenen:

  1. Ein prominenter FPÖ-Politiker, der zum klügeren Viertel seiner Partei zählt, versuchte mir Trumps Aktionen mit der Chaos-Theorie zu erklären. Diese besagt im Wesentlichen, dass oft kleine Aktionen große Wirkungen haben können, wie etwa der Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwie manchmal auch das Wetter beeinflussen kann. Das sei ganz bewusst die Strategie Trumps. Das klingt aufs erste gar nicht so unplausibel. Nur: Der Schmetterling weiß halt nicht, ob und welche Wetterauswirkungen sein Geflatter haben wird. Er flattert vergnügt herum und hat ganz sicher keine gezielten Absichten. Und außerdem: Trumps Aktionen sind gar nicht so klein.
  2. Tatsache ist, dass fast jede seiner täglichen Aktivitäten tatsächlich weltweite Beben auslöst. Das produziert bei ihm selbst aber einen gewaltigen Adrenalin-Ausstoß, einen Machtrausch – unabhängig davon, ob ihm die oft kontraproduktiven Wirkungen seiner Maßnahmen und Ankündigungen bewusst sind.
  3. Trump will in seiner Eitelkeit zweifellos als großer Friedensstifter in die Geschichte eingehen (insgeheim träumt er wohl sogar vom Friedensnobelpreis). Das hat er schon in seiner ersten Periode versucht: Das war in Hinblick auf Nordkorea mit einem peinlichen Scheitern verbunden. Das war in Hinblick auf die "Abraham-Vereinbarungen" aber zweifellos von großem Erfolg begleitet, haben diese doch bis heute zu recht guten Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Golfstaaten mit Saudi-Arabien an der Spitze geführt.
  4. Was er damals mit der Friedenspalme in der Hand versucht hat, versucht er jetzt mit dem großen Rohrstab. Mit diesem hat er die Ukraine weitgehend kleingeprügelt – siehe den zeitweisen Entzug von Nachschub und Satelliteninformationen, siehe die zynische Demütigung für deren Präsidenten beim Besuch im Weißen Haus. Trump hat aber allem Anschein nach keinen Erfolg bei Russlands Putin. Denn Amerika kann Putin kaum mehr mit irgendwelchen zusätzlichen Sanktionen drohen. Aber zum erfolgreichen Friedenstiften gehört jedenfalls immer die Bereitschaft beider Seiten. Daher gibt es derzeit keine Chancen auf einen gerechten Frieden, und auch die auf einen ungerechten sind gering.
  5. Daher bleiben Trump in Sachen Ukraine nur folgende zwei Optionen für weiteres Hakenschlagen:
    • Entweder er treibt die Ukraine dann doch wieder weiter in die Enge, bis sie sich in ihrer Verzweiflung mit dem Status einer kastrierten Kolonie Russlands abfindet, wozu die Bevölkerung aber vorerst trotz aller Opfer keinesfalls bereit ist, sieht sie doch auch die großen Abwehrerfolge ihres Landes.
    • Oder Trump wird dann doch wieder zusammen mit den Europäern die Ukrainer in ihrem tapferen Abwehrkampf unterstützen.
  6. Wahrscheinlich weiß Trump selber noch nicht, welche dieser beiden Optionen folgen wird. Das bringt uns zur nächsten Erklärungsebene: Denn er agiert ständig in allen Fragen aus ungeplanter Spontaneität und Emotionalität heraus. Ein Mann, der sich für allmächtig hält, ordnet sich keinem Plan unter, nicht einmal einem von ihm selbst entwickelten. Denn würde er einem Plan folgen, könnte er sich nicht mehr täglich seinem berauschenden Allmachtsgefühl hingeben.
  7. Sollten seine nächsten Aktionen in Sachen Ukraine aber doch auf die Unterstützung für eine Kolonialisierung der Ukraine durch Russland hinauslaufen, dann ist das wohl der endgültige Beweis für die vielen kursierenden Hinweise, dass Russland seit den 80er Jahren sogenanntes "Kompromat" gegen ihn in der Hand hat, dass er daher letzlich immer das tun wird, was Moskau nutzt. So hat die renommierte Journalistin Claire Berlinski – sie war früher bei der "New York Times" und hat ein interessantes Buch über Margaret Thatcher geschrieben, lebt jetzt aber wohlweislich nicht mehr in den USA – mehrfach darüber berichtet, dass die Russen Aufnahmen von wilden und bizarren Aktionen mit zwei Prostituierten in einem Moskauer Hotelzimmer aus dem Jahr 1987 besäßen.
  8. Ob die Kompromat-Informationen nun stimmen oder nicht: Tatsache ist, dass seit dem Weltkrieg nichts so sehr das strategische Hauptziel Russlands befördert hat wie die Politik Trumps. Sei es im Ukraine-Zusammenhang; seien es seine Drohungen, die Nato-Beistandsgarantie nicht mehr einzuhalten; sei es sein Zoll- und Handelskrieg: All das treibt den von Russland seit vielen Jahrzehnten gewüschten Keil zwischen Amerika und Europa. Und Europa wird dann Russland gegenüber viel gefügiger und vor allem schutzlos sein.
  9. Eine weitere Annäherung an Trump stimmt jedenfalls: Seine Psyche braucht es geradezu krampfhaft, dass er täglich durch überraschende Wendungen Schlagzeilen macht, dass er ständig die Weltöffentlichkeit im Atem hält. Sein innerstes Ego braucht täglich die Bestätigung, dass er der wichtigste Mann auf dem Erdball sei. Dafür eignet es sich natürlich am besten, wenn man täglich liebevolle Avancen an einen bisherigen Feind beziehungsweise wilde Attacken auf einen bisherigen Freund von sich gibt.
  10. Eng verwandt mit dieser Erklärungslinie ist auch ein Hang zum Sadismus: Dieser will ständig jemanden lustvoll bestrafen. Da er aber in militärischer Hinsicht eigentlich ein isolationistischer Pazifist ist, bleiben ihm zum Ausleben des Sadismus nur die ständige Verhängung, beziehungsweise Androhung von gewaltigen Zollerhöhungen und die persönliche Demütigung anwesender Menschen, ob das nun Journalisten sind, die unerwünschte Fragen stellen, oder ein ausländischer Staatspräsident, dessen Kotau nicht tief genug ist.
  11. Unbestreitbar ist die starke kaufmännische Ebene in Trumps Denken. Ob er nun ständig von "Deals" spricht, hingegen fast nie von Werten, Recht, Freiheit, Solidarität oder Demokratie; oder ob ihm in Sachen Ukraine der Zugang zu den dortigen Rohstoffen das Wichtigste ist; oder ob er sich dem Gaza-Krieg wie ein Immobilien-Händler nähert; oder ob er von Taiwan verlangt, dass es für den Schutz gegen China bezahlen soll: Immer ist er gieriger Händler, ohne jeden Bezug zu immateriellen Werten, die frühere US-Regierungen so geprägt haben. Freilich ist er ein Händler ohne jede Ahnung von national- oder globalökonomischen Zusammenhängen. 
  12. An ernstzunehmenden politisch-ideologischen Konzepten oder Überzeugungen, die sich von seiner Person loslösen lassen, lässt sich hingegen wenig finden:
    • Wirtschaftlich hat er mit Sicherheit keine Ahnung, wie schädlich sich das Hochziehen von Zollmauern nach allen Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft auf die eigene Bevölkerung auswirken wird. Damit ist nicht nur die wachsende Gefahr von Inflation und Rezession gemeint. Das ist auch ein Hinweis darauf, dass solche Zoll-Eskalationen von der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen bis zum zweiten Weltkrieg historisch sehr oft Vorläufer katastrophaler Entwicklungen gewesen sind.
    • Außenpolitisch stellt er sich die Welt als eingeteilt in strikte Einflusssphären weniger Großmächte vor – wie sie es nach dem Wiener Kongress oder im Kalten Krieg gewesen ist. Er sieht global eindeutig nur drei Mächte, die heute das Recht haben, den Rest der Welt zu beherrschen, so wie es nach 1815 fünf Mächte gegeben hat, die das vor allem in Europa getan haben. In einer solchen Aufteilung der Welt sieht er die beste Basis für seinen isolationistischen Pazifismus: Wenn wir Amerikaner die Kontrolle über Grönland und Panama-Kanal für unsere nationale Sicherheit und unsere wirtschaftlichen Interessen haben, dann kann uns der Rest gleichgültig bleiben – mit einer Ausnahme, nämlich Israel, das Trump aus Rücksicht auf die vielen jüdischen und christlich-evangelikalen Amerikaner nie fallen lassen wird. Europa hingegen, das früher für Amerika eine so große Rolle gespielt hat und das sich noch immer für wichtig hält, ist für Trump bedeutungslos, ja er hasst es sogar – schon wegen der vielen Stänkereien durch europäische Politiker.
    • Gesellschaftspolitisch gibt er sich als Wertkonservativer, aber wohl weniger aus Überzeugung (sonst wäre in seinem privaten Leben wohl vieles ziemlich anders gelaufen), sondern weil er erkannt hat, dass die Ablehnung von woken LGBTQ-Verirrungen, von Kampffeminismus, von politischer Zensur, von Diversitäts- und Inklusions-Diktatur und von Masseneinwanderung imstande ist, ihm eine Mehrheit zu verschaffen.

Sind die Amerikaner all diesen – zum Teil nur noch psychiatrisch zu erklärenden – verwirrenden Ebenen im Kopfe eines Mannes hilflos ausgeliefert? Ja, das sind sie. Zumindest für die nächsten eineinhalb Jahre, auch wenn Trumps Werte bei den Umfragen sinken. Relevant wird eine Reaktion der US-Bürger frühestens bei den nächsten Halbzeitwahlen im November 1926 sein können. Dann könnte er wieder gezähmt werden, sollten die Demokraten oder der Trump-skeptische Flügel der Republikaner deutliche Zugewinne erzielen und Trump die Kontrolle über den Kongress verlieren. Inzwischen bleibt eine schwache Hoffnung, dass Trump so wie in seiner ersten Periode durch die Menschen rund um ihn etwas eingefangen werden könnte; etwa Außenminister Marco Rubio macht den Eindruck, dass er das eventuell sein könnte.

Ansonsten dürfte ihn nur ein einziges Faktum nervös machen können: Das ist die Entwicklung der Börsenkurse, die nach der Euphorie der ersten Trump-Tage inzwischen schon wieder tiefer gefallen sind als irgendwann in den letzten sechs Monaten. Denn inzwischen haben auch die Investoren begriffen, dass Trumps Wirtschaftspolitik, bei aller Freude über die angekündigten Deregulierungen schnurstracks bergab führt. Denn höhere Zölle können zwar einige – eigentlich gar nicht wettbewerbsfähige – amerikanische Industriebetriebe am Leben erhalten. Aber saftige Zölle und die europäischen Gegenmaßnahmen werden mit absoluter Sicherheit die Inflation insbesondere für die Amerikaner anheizen und damit höchstwahrscheinlich auch eine Rezession auslösen.

Aber gewiss: Wenn das passiert, wird natürlich nicht er, nicht seine Politik die Ursache oder gar schuldig gewesen sein. Dann wird er vielmehr mit Sicherheit wilde Attacken auf die amerikanische Notenbank Fed reiten. Einen Schuldigen vom Dienst finden Typen wie ein Trump immer.