
Am Weg zur kleinen Machtteilhabe gehen die Wähler großteils verloren
Die Wiener ÖVP begeht den gleichen Fehler, den Karl Nehammer begangen hat. Sie hat erkennbar nur ein Ziel: Sie will Minderheitspartner der regierenden SPÖ werden. Sie begreift nicht, dass das für eine Oppositionspartei eine selbstbeschädigende Strategie ist. Sie verliert deswegen jetzt viele Wähler. Dabei kann sie den Herren Nepp und Strache, also den Spitzenkandidaten rechts von ihr, nicht einmal das vorwerfen, was man dem Bundes-Chef der Freiheitlichen, Herbert Kickl, vorwerfen kann, und was dieser während der Wochen der blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen gezeigt hat: also, dass er als Person nicht paktfähig ist.
Dennoch hat Mahrer nur ein einziges Ziel: Er will um jeden Preis Koalitionspartner der Wiener SPÖ werden – womit er am Wahltag noch mehr verlieren wird als die SPÖ. Denn die Wiener wissen: Schon die letzten 80 Jahre haben gezeigt, dass es einer kleinen Opposition nicht gelingen kann, den massiven Machtmissbrauch und die falschen Akzente der Wiener Genossen spürbar zu ändern. Auch wenn die SPÖ in dieser Zeitspanne – vor allem zuletzt – des Öfteren die absolute Mehrheit verloren hat, ist das rote Schlachtschiff unbeirrt weitergefahren, ohne auf die pinken, grünen oder schwarzen Beifahrer auf der Kommandobrücke achten zu müssen. Und auch die Wiener ÖVP wird die zuletzt auf 38 Prozent abgesunkenen Sozialdemokraten nicht ändern können.
Der einzige Unterschied zwischen dem jetzigen und dem früheren Bürgermeister: Michael Ludwig schimpft weniger als Michael Häupl, er hat auch bessere Manieren – aber in der Sachpolitik hat er nichts geändert, sondern sich mit noch übleren islamischen Gruppierungen eingelassen, um deren immer zahlreichere Stimmen zu bekommen (bevor sie dann mit Garantie eine eigene Partei bilden). Er wird die SPÖ-Politik auch in Zukunft nicht ändern müssen: Kann er doch höchstwahrscheinlich gleich unter allen drei schon einmal benutzten Partnern wählen, welcher davon es diesmal noch billiger macht.
Das ist traurig. Es ist jedenfalls unverständlich und deprimierend, dass es für die mehr als 60 Prozent der Wiener, die nicht wieder einen roten Bürgermeister haben wollen, keinerlei Perspektive auf Veränderung gibt.
Das erinnert stark an die für liberalkonservative Parteien der rechten Mitte verheerende Politik der "Brandmauer gegen rechts":
- Das hat ihnen in Deutschland geschadet, wo CDU/CSU jetzt schon deutlich unter das magere Wahlergebnis vom Februar zurückgefallen sind, da sie sich wie unter Angela Merkel wieder mit der SPD ins Bett legen.
- Das schadet der rechten Mitte in Frankreich, wo Marine Le Pens Partei (trotz aller miesen Justiztricks) in den zehn Monaten seit der Wahl bereits wieder steil von 29 auf 35 Prozent gestiegen ist, während die beiden Mitte-Rechts-Regierungsparteien zusammen nur 27 Prozent haben.
- Und das schadet der ÖVP, die bei den Umfragen um die 20 Prozent pendelt, also nicht einmal die Hälfte jener Werte hat, die Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz in ihren besten Zeiten hatten.
- Hingegen tut es seit drei Jahren der rechten Mitte in Italien sehr gut, dass sie kooperiert und keine Brandmauern errichtet.
Allerdings zeigt sich auch in den anderen genannten Ländern zunehmend ein langsames Brüchigwerden der Brandmauern: In Frankreich hat Präsident Macron schon Abmachungen mit der Le-Pen-Partei versucht. In Österreich hat die ÖVP nach dem Ausscheiden Nehammers ein paar Wochen Verhandlungen mit der FPÖ geführt (die dann nicht an ihr, sondern an Kickl gescheitert sind) und seither zumindest ein paar Prozentpunkte dazugewonnen, welche aus Mitleid zur FPÖ gewandert waren. Und auch in Deutschland, dem Mutterland der Brandmauer, tut sich in der CDU einiges: Ex-Minister Jens Spahn, der sich einst immer mit Sebastian Kurz gut gesprochen hat, sagt auf einmal, man müsse jene Millionen Wähler ernst nehmen, welche die AfD gewählt haben. Und der CDU-Fraktions-Vize Wadephul meint ähnlich, dass man den Boykott der AfD bei der Bestellung von Ausschussvorsitzenden im Bundestag beenden solle, weil sonst die AfD nur ihren Märtyrerstatus aufrechterhalten könnte.
Eine sehr langsame Richtungsänderung, gewiss. Aber jedenfalls täte sie auch der Wiener ÖVP gut. Denn man könnte jede Wette eingehen, dass der bevorstehende steile Absturz der Wiener ÖVP auf rund 11 Prozent nicht stattfände, würde sie einen einzigen Satz sagen: "Auf Grund der vielen Missstände und Fehlentwicklungen in Wien stehen wir nicht für eine Koalition mit Rot oder Grün zur Verfügung, ansonsten ist alles möglich, sofern es ein gutes Programm gibt."
Das mit Sicherheit schlechte Abschneiden der Wiener ÖVP ist mit ebenso großer Sicherheit einzig auf das Fehlen dieses Satzes zurückzuführen, und nicht so sehr auf die Person des Karl Mahrer, auf seine Brillen oder sein Alter. Genauso wie das schlechte Abschneiden der Bundes-ÖVP nicht an der Person des Karl Nehammer gelegen war, sondern an seiner Absage an die FPÖ – die er in eine Absage an den Obmann dieser Partei verpackt hat –, was den Wählern die zwangsläufige Folge klargemacht hat: Die SPÖ und ihre Reformunfähigkeit wird wieder in der Regierung sitzen.
Was am meisten überrascht, ist die ständige Überraschung von ÖVP beziehungsweise CDU/CSU über die bürgerlichen Wähler, die alles wollen, nur keine rote Regierungsteilhabe mit all ihren negativen Folgen – wie man sie in Wien wie in einem Brennglas sieht.